Alfred Hitchcock: Vor genau 40 Jahren starb der Meister der Spannung


Zensur-Fuchs und beleidigte Oscar-Wurst

Filme, ob nun gewollt oder ungewollt, sind immer ein Spiegelbild der Gesellschaft, Kultur und geopolitischen Gemengelage, in der sie entstehen. Der Böse etwa, das ist mal der (Nazi-)Deutsche, mal der (Kommunisten-)Sowjet, mal der (Terroristen-)Araber. Und sollte sich nicht am Feindbild herauskristallisieren, von wann ein Film stammt, so schafft in aller Regel die Frisur der Hauptfigur Abhilfe. Natürlich kann – allein wegen der technischen Gegebenheiten – auch den Filmen von Alfred Hitchock (1899-1980) angesehen werden, aus welcher Epoche sie stammen. Dennoch wirken die Streifen des Meisters des Suspense seltsam aus der Zeit gefallen.

Viele von Hitchcocks Werken trotzen dem Zahn der Zeit aber besser als manch andere Filme, die zwar gemeinhin gerne als Meisterwerk oder Kultklassiker bezeichnet werden, aus heutiger Sicht aber doch arg antiquiert wirken. Wenn aber James Stewart in “Das Fenster zum Hof” (1954) in zerreißender Spannung um Grace Kelly bangt oder das Geigen-Stakkato in “Psycho” (1960) an den Nerven sägt, verfehlt das seit 66 beziehungsweise 60 Jahren nicht seine Wirkung. Die stehenden Ovationen der Nackenhaare sind der beste Beweis für zeitlose Spannung. Hier einige außergewöhnliche Fakten zu einem wahrlich außergewöhnlichen Geist.

Meister der Selbstinszenierung

Alfred Hitchcock hat in vielerlei Hinsicht die Kinogeschichte geprägt, ob stilistisch oder inhaltlich. Ihm wird etwa die Entstehung des Begriffs “MacGuffin” zugeschrieben, also ein eigentlich unbedeutendes Objekt, das die Handlung auslöst oder vorantreibt. Und auch der Twist in “Psycho” (hier im wahrsten Sinne ein Twist, das Drehen eines Stuhls) war beispiellos.

Doch der Filmemacher, der 1899 in Leytonstone, England, geboren wurde, war auch meisterlich darin, sich selbst zu inszenieren. Bereits mit 28 Jahren war ihm bewusst, wie wichtig Selbstvermarktung ist. Als einer der ersten Filmschaffenden überhaupt gründete er in den 1930er Jahren eine eigene Gesellschaft (Hitchcock Baker Productions), die für und mit ihm Publicity betrieb.

Meister der Oscar-Snubs

“Rebecca” (1941), “Das Rettungsboot” (1945), “Ich kämpfe um dich” (1946), “Das Fenster zum Hof” (1955) und “Psycho” (1961″ – fünf Mal war Hitchock für den Oscar als bester Regisseur nominiert. Unglaublich, aber wahr, nicht ein Mal konnte er ihn gewinnen. Wie sauer er über diesen Umstand gewesen sein muss, das wurde 1968 überdeutlich.

Als ihm damals bei den Academy Awards der Sonderpreis (Irving G. Thalberg Memorial Award) überreicht wurde, würdigte er dies mit höflichen, aber eindeutig angefressenen fünf Wörtchen. “Thank you”, und nach einer Pause: “Very much indeed.” Erst kurz vor seinem Tod 1980 wurde er durch Queen Elizabeth II. zum Knight Commander des Order of the British Empire geschlagen – 17 Jahre zuvor hatte er selbst diese Ehrung noch abgelehnt.

Meister der Zensur-Umgehung

Hitchcock war einer dieser perfektionistischen Filmemacher, die jede Facette des Films in eigener Hand sehen wollen, vom Anfang bis zum Endschnitt. Da passte es ihm selbstredend überhaupt nicht in den Kram, dass seiner künstlerischen Freiheit durch den sogenannten Hays Code (Richtlinien für US-Filme) von 1930 bis in die 60er Jahre pseudomoralische Fußfesseln angelegt wurde.

Doch natürlich fand das gewiefte Schlitzohr mal mehr mal weniger offensichtliche Methoden, um den Zensur-Sittenwächtern eins auszuwischen. Berühmtestes Beispiel die Sexszene zwischen Cary Grant und Eva Marie Saint am Ende von “Der unsichtbare Dritte”. Vom noch erlaubten Kuss der beiden schnitt Hitchcock auf einen Zug, der in einen Tunnel braust – da braucht es keinen Sigmund Freud, um zu wissen, was Zug und Tunnel in diesem Moment symbolisierten…

Meister der Meister

Für über 50 Filme zeichnete Hitchcock von der Stummfilmära an bis ins Jahr 1976 (sein letzter Film: “Familiengrab”) verantwortlich. Bis heute ist er der Regisseur mit den meisten Filmen in der Top 250 der Internetseite “imdb.com” (Internet Movie Database”). Acht seiner Filme haben es in die renommierte Bestenliste geschafft, so viele wie von keinem anderen Filmemacher.

Martin Scorsese (77), Steven Spielberg (73), Stanley Kubrick (1928-1999) oder Christopher Nolan (49) weisen derzeit allesamt sieben Streifen darin auf. Letzterer könnte angesichts seines Alters die besten Chancen haben, mit Hitchcock gleichzuziehen oder, Gott bewahre, in gar zu überflügeln. Das wäre dem Ausnahme-Regisseur auch 40 Jahre nach seinem Tod wohl noch “very much indeed” ein Dorn im Auge.

(stk/spot)

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