Bund muss Sozialhilfeleistungen für Kinder und Jugendliche neu regeln


Bundesverfassungsgericht stärkt Kommunen in Streit um Kosten

Der Bund muss die Sozialhilfeleistungen für Kinder und Jugendliche teilweise neu regeln. Mit dem 2011 geschnürten Teilhabepaket erlegte der Bund den Kommunen zu hohe neue Lasten auf, wie das Bundesverfassungsgericht in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss entschied. Den Kommunen stehe hierfür zumindest ein finanzieller Ausgleich zu. Für eine Neuregelung gaben die Karlsruher Richter dem Gesetzgeber Zeit bis Ende 2021. (Az: 2 BvR 696/12)

Geklagt hatten zehn Städte in Nordrhein-Westfalen. Sie sahen sich in ihrer kommunalen Selbstverwaltung verletzt, weil der Bund ihnen mit der Finanzierung des Pakets neue Lasten aufgebürdet hatte.

Das Grundgesetz verbiete es dem Bund, den Kommunen Aufgaben zu entziehen oder ihnen eigenmächtig neue Aufgaben aufzubürden, urteilte nun das Gericht. Gleiches gelte für eine erhebliche Ausweitung von Aufgaben. Mit dem Teilhabepaket habe der Bund die Aufgaben der kommunalen Sozialhilfe “mehr als unerheblich” ausgeweitet. Die damit verbundenen Belastungen müssten die Kommunen nicht hinnehmen.

Der Deutsche Städtetag wertete das Urteil als Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy kritisierte das Vorgehen des Bundes: Dieser versuche “immer wieder, den Städten Aufgaben neu zu übertragen oder sie zu erweitern”, erklärte Dedy. Dies sei “problematisch”, weil dies in der Regel ohne Kostenausgleich erfolge. Deswegen sei das Karlsruher Urteil zu begrüßen.

Das Bildungs- und Teilhabepaket hatte die Sozialleistungen für Kinder und Jugendliche deutlich ausgeweitet. Einbezogen wurden auch Kinder in Kindertagesstätten sowie Kinder aus Familien, die nur Wohngeld, sonst aber keine Sozialleistungen beziehen. Das Paket ermöglichte Leistungen unter anderem für Schulausflüge, Schülerbeförderung, Nachhilfeunterricht und die Mittagsverpflegung.

Der Gesetzgeber reagierte mit dieser Regelung auf das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2010. Darin hatten die Karlsruher Richter gerügt, dass existenznotwendige Aufwendungen insbesondere für Kinder bei den Sozialleistungen bislang nicht ausreichend berücksichtigt seien.

Allein in Nordrhein-Westfalen werden die durch das Teilhabepaket 2011 entstandenen Mehrausgaben für die Kommunen auf jährlich 6,9 Millionen Euro geschätzt. Hinzu kommen die Ausgaben für Personal und Verwaltung.

Die Kommunen müssten hierfür zumindest “eine adäquate Kostenerstattung” erhalten, forderte nun das Verfassungsgericht. Weitere Leistungsausweitungen durch das so genannte Starke-Familien-Gesetz 2019 standen noch nicht auf dem Karlsruher Prüfstand.

Für eine Neuregelung gaben die Karlsruher Richter dem Gesetzgeber Zeit bis Ende 2021. Bis dahin sind die bisherigen Vorschriften weiter anwendbar. Andernfalls könnten die Sozialämter gar keine Bildungs- und Teilhabeleistungen mehr gewähren, so dass das menschenwürdige Existenzminimum der Kinder und Jugendlichen nicht mehr gewährleistet sei.

Politiker von Linkspartei und Grünen werteten das Urteil als “Ohrfeige” für die Bundesregierung. Es wäre nun “eine schöne Neuerung, wenn Bundes- und Landesregierungen neue Leistungen der Kommunen und deren Finanzierung von vornherein verfassungsgemäß absichern würden”, erklärte Linken-Chef Bernd Riexinger.

Der Grünen-Sozialexperte Sven Lehmann kritisierte das Teilhabepaket als “Bürokratiemonster”. Die Leistungen kämen “nur bei etwa einem Drittel der Kinder an, die einen Anspruch darauf haben”. Lehmann bekräftigte die Forderung seiner Partei nach Einführung einer Kindergrundsicherung.

by THOMAS KIENZLE

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