Die Weizsäckers: Glanz und Schatten einer großen Dynastie


Die Familie im Überblick

Der tragische Tod von Fritz von Weizsäcker (1960-2019) am gestrigen Dienstag rückt den Namen Weizsäcker in den Mittelpunkt – zumal sich der mutmaßliche Täter angeblich an der Familie rächen wollte.

Die Weizsäckers haben seit Jahrhunderten große, aber auch umstrittene Persönlichkeiten hervorgebracht. Das Mordopfer war ein bedeutender Medizin-Professor, sein Bruder Robert K. (64) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität München und Ehrenpräsident des deutschen Schachbundes. Der 2008 verstorbene Bruder Andreas war ein international bekannter Bildhauer.

Der Vater Richard (1920-2015) war Bundespräsident, der Onkel Carl Friedrich (1912-2007) als Physiker und Philosoph ein Kandidat für den Nobelpreis. Cousin Ernst Ulrich (80) ist Biologe und ein bekannter Umweltwissenschaftler.

Woher kommen die Weizsäckers?

Die Familie entstammt einem pfälzisch-württembergischen Geschlecht von Müllern, die sich zielstrebig nach oben gearbeitet haben. Die Öhringer Linie wurde gegründet von Gottlieb Jakob Weizsäcker (1736-1798), einem Müllersohn, der später Hofmundkoch der Fürsten von Hohenlohe-Öhringen wurde. Von ihm soll der Satz stammen: “Je höher die Herrschaft, desto bessere Chancen, es trotz Dienstbarkeit zu einer angesehenen Stellung in der Welt zu bringen.” Sein Sohn Carl Friedrich Gottlob Weizsäcker wurde bereits Stadtschultheiß in Öhringen.

Gottliebs Enkel Carl Heinrich und Julius legten eine steile Karriere hin. Carl Heinrich Weizsäcker (1822-1899) wurde Hofkaplan beim württembergischen König Wilhelm I. und ab 1861 Professor und Lehrstuhlinhaber für Kirchen- und Dogmatikgeschichte an der Universität Tübingen. Als Kanzler der Uni Tübingen gehörte er von 1890 bis 1899 der Zweiten Kammer des württembergischen Landtags an. Sein Bruder Julius Weizsäcker (1828-1889) war ein bekannter Historiker und ordentlicher Professor an den Universitäten Erlangen, Tübingen, Straßburg sowie an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Er war außerdem ordentliches Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften.

Die Erhebung in den Freiherrenstand

Carl Heinrichs Sohn Karl Hugo (1853-1926) gründete dann die Dynastie der Freiherren von Weizsäcker. Nach seinem Jura-Studium in Tübingen und anschließenden Ämtern als Richter trat er in das württembergische Justizministerium ein. 1897 wurde ihm der persönliche Adelstitel verliehen, es folgte eine steile politische Karriere, die mit dem Amt des Ministerpräsidenten im Königreich Württemberg ihren Höhepunkt fand. 1916 wurde Karl Hugo von Weizsäcker von König Wilhelm II. von Württemberg samt seiner Familie in den erblichen Freiherrenstand erhoben.

Über ihn schrieb der Publizist und Schriftsteller Ralph Giordano 1989 im “Spiegel”: “Als Karl Hugo von Weizsäcker, hochgeehrt, im Februar 1926 stirbt, ist das politische Familienterrain abgesteckt: Demokratiefremdheit, ja -feindschaft, Befangenheit im obrigkeitsstaatlichen Denken monarchischer Prägung.”

Ein Leben für die Politik

Auch die Söhne des autoritätsgläubigen Karl Hugo von Weizsäcker haben sich gemäß der Familientradition einen Namen gemacht: Viktor von Weizsäcker (1886-1957) wird ein bedeutender Medizin-Professor mit Lehrstuhl in Heidelberg; er gilt als Mitbegründer der psychosomatischen Medizin. Sein vier Jahre älterer Bruder Ernst von Weizsäcker (1882-1951) wird Marineoffizier, danach Diplomat.

Unter den Nazis steigt er im Außenministerium auf bis zum Ersten Staatssekretär. Ab 1938 bekleidet er in der Allgemeinen SS den Rang eines Brigadeführers. Wegen den Deportationen französischer Juden nach Auschwitz wird Ernst von Weizsäcker bei den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher zu fünf Jahren Haft verurteilt. Er kommt 1950 im Rahmen einer allgemeinen Amnestie vorzeitig frei.

Ein junger Rechtsanwalt hat ihn während der Nürnberger Prozesse verteidigt. Es ist sein Sohn Richard von Weizsäcker (1920-2015), der spätere Bundespräsident. Er bezeichnete das Urteil gegen seinen Vater als “historisch und moralisch ungerecht”. Bevor er in der CDU Karriere als Regierender Bürgermeister von Berlin (1981-1984) und schließlich als Bundespräsident (1984-1994) macht, arbeitet er in der freien Wirtschaft und schließlich in der Geschäftsführung des Chemie- und Pharma-Unternehmens Boehringer Ingelheim.

Die Firma liefert 1967 etwa 720 Tonnen Trichlorphenolatlauge an Chemical Dow. Daraus wird das berüchtigte dioxinhaltige Entlaubungsmittel Agent Orange hergestellt, das die US-Armee beim Krieg in Vietnam einsetzt. Richard von Weizsäcker will erst Jahre später “mit großer Betroffenheit” davon erfahren haben.

Der Bruder, der nicht wollte

In der Familie der Politiker gibt es aber auch Carl Friedrich von Weizsäcker, den älteren Bruder von Richard von Weizsäcker. Er ist Physiker und hat sich während des Zweiten Weltkrieges mit der Entwicklung einer deutschen Kernwaffe beschäftigt. Nach dem Krieg wird er Philosoph mit Lehrstuhl in Hamburg und sagt 1957, er sei “nur durch göttliche Gnade” vor der Versuchung bewahrt worden, die deutsche Atombombe tatsächlich zu bauen.

Das Wissen um die apokalyptische Zerstörungskraft dieser Waffe macht ihn zum überzeugten und hochgeehrten Friedensforscher, der mehrmals den Dalai Lama (84) trifft und die Gemeinsamkeiten von Christentum und Buddhismus beschwört. 1979 lehnt Carl Friedrich von Weizsäcker eine vom SPD-Vorsitzenden Willy Brandt vorgeschlagene Kandidatur zum Bundespräsidenten ab. Das Amt übernimmt fünf Jahre später sein Bruder Richard.

(ln/spot)

Beliebteste Artikel Aktuell: