Kaiser Naruhito: Künstler, Menschenfreund – und völlig machtlos


Der Neue auf Japans Thron

Es ist ein Bild wie aus einer fernen, völlig anderen Zeit. Ein kleiner, zierlicher Mann soll auf dem gewaltigen, sechseinhalb Meter hohen Takamikura-Thron Platz nehmen. Offenbar trägt er schwer an seiner kupferfarbenen Robe und der schwarzen Kopfbedeckung – an diesen uralten Symbolen der japanischen Monarchie. Aber Naruhito (59) ist nun mal der neue Kaiser von Japan und an seiner Inthronisierung im Palast von Tokio wohnen 2.000 Würdenträger bei. Unter ihn auch Prinz Charles (70) von England und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (63).

Naruhito ist das Oberhaupt der ältesten Erbmonarchie der Welt

Naruhitos Gesicht drückt Ergebenheit aus, die Mundpartie deutet ein schüchternes Lächeln an. Es herrscht Stille, die nur von Trommel- und Gongschlägen unterbrochen wird. Dann ruft der japanische Regierungschef drei Mal “Banzai!” – Lang lebe der Kaiser. Und Naruhito, der mittlerweile auf den Thron sitzt, sagt förmlich: “Ich erkläre hiermit für die Heimat und das Ausland meine Inthronisierung. […] Ich gelobe, dass ich stets für das Glück des japanischen Volkes und den Weltfrieden beten werde.” Damit wolle er seine “Pflicht als Symbol Japans erfüllen”.

Er ist damit das Oberhaupt der ältesten Erbmonarchie der Welt. Der erste Tenno (jap. Kaiser) war Jimmu, der nach der Überlieferung des Shintoismus göttlichen Ursprungs war. Er wurde im Jahr 660 v. Chr. Herrscher und war, der Legende nach, ein Urenkel von Ningi, einem Enkel der Sonnengöttin Amaterasu, die Ningi auf die Erde geschickt hatte, um dort Reis zu pflanzen und zu regieren. Alle japanischen Herrscher führen ihren Ursprung auf Amaterasu zurück. Sie ist die personifizierte Sonne und Göttin des Lichts und gilt als Ahnherrin des Geschlechts, dem auch Naruhito entstammt. Er ist in der langen Reihe seiner Ahnen der 126. Tenno.

Der Kaiser hat keinerlei Macht

Sein Großvater Hirohito (1901-1989) wurde noch als Gott verehrt. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg und der japanischen Kapitulation wollte die amerikanische Besatzungsmacht keinen gottgleichen Herrscher mehr. 1945 verkündeten sie die Richtlinien der neuen Verfassung: “Der Kaiser soll das Symbol des Staats und der Einheit des Volks sein. Seine Stellung ist abhängig vom Willen des Volks, welches die souveräne Macht besitzt.” Daran hält sich Hirohito, danach sein Sohn Akihito (85) und nun dessen Sohn Nurahito.

Der Tenno hat die Pflicht für sein Volk zu beten – schließlich ist er der höchste Priester der japanischen Staatsreligion Shinto. Er muss Staatsgäste empfangen und andere Länder im Namen Japans besuchen. Er darf Amtspersonen wie den japanischen Premierminister ernennen und muss das Reisfeld des Kaiserpalastes nach uralten Riten bestellen. Er ist eine von der Öffentlichkeit akzeptierte Symbolfigur. Doch machtvolle Autorität innerhalb des Staatsapparates hat er nicht.

“Die Bezeichnung Kaiser wirkt machtvoll”, schreibt die “Süddeutsche Zeitung”, “aber in Wahrheit hat er keine Macht. Dem japanischen Kaiser fehlen sogar grundlegende Rechte, die man etwa nach der europäischen Verfassung niemandem verwehren dürfte. Er darf seine Meinung nicht sagen, nicht demonstrieren, nicht arbeiten, wie er will, nach konservativer Auslegung der Verfassung darf er nicht einmal wählen. Eigentlich hat er nur Pflichten.” Der Kaiser sei “ein Japaner im Dienst, fleißig und opferbereit”. Das sind die Vorgaben von Tenno Naruhito und an die wird er sich halten (müssen).

Naruhito gilt als aufgeschlossen und sanftmütig

Eigentlich heißt der neue Kaiser Hiro-no-miya Naruhito. Den Namen hat sein Großvater Hirohito ausgewählt. Der Kindheitstitel “Hiro-no-miya” stammt aus dem 32. Kapitel des konfuzianistischen Buchs “Mitte und Maß” und bedeutet (im übertragenen Sinn): “weitreichender Himmel”. Und der Eigenname “Naruhito” könnte man mit “Jemand der Klugheit, Klarheit, Weisheit und Verstehen durch himmlische Tugend erlangt” übersetzen. Naruhito studierte an der Gakushuin-Universität in Tokio sowie in Oxford (England) Geisteswissenschaften und schloss mit einem Master-Titel ab.

Er ist somit der erste Vollakademiker auf dem japanischen Kaiserthron. Er gilt als sanftmütiger und volksnaher Menschenfreund, der eng mit der Natur verwurzelt ist. Er setzt sich für den Gewässerschutz ein und liebt das Wandern. Politische Beobachter nehmen vom neuen Tenno Naruhito an, dass er in den meisten Angelegenheiten so aufgeschlossen denkt und handeln wird wie sein Vorgänger und Vater Akihito (85), der ihn entsprechend geprägt und im Frühjahr als Tenno abgedankt hat.

Der neue Kaiser heiratete eine Bürgerliche

Doch er hat auch schon Durchsetzungskraft bewiesen: Wie sein Vater heiratete er gegen den Widerstand des Hofamtes als Kronprinz eine Bürgerliche, obendrein eine richtige Karrierefrau: Masako Owada (55) entstammt zwar einer Samurai-Familie, ihr Vater war aber bürgerlicher Richter und Diplomat. Sie studierte in Harvard (USA) und Oxford (England) Wirtschaftswissenschaften und arbeitete im japanischen Außenministerium als Diplomatin. Dass sie mit ihrer Körpergröße von 1,61 Meter ihren Mann zudem noch um ein paar Zentimeter überragt, ist den Traditionalisten ein weiterer Dorn im Auge.

Naruhito hat sich entschieden: Entweder die oder keine! Hochzeit 1993, 2001 wurde, nach einer Fehlgeburt im Jahr 1999, Prinzessin Aiko (17) geboren. Wieder kam es zu Querelen innerhalb des Hofstaates. Nach einem Gesetz über den kaiserlichen Haushalt ist es nur männlichen Erben gestattet, den Thron zu besteigen. Es folgte eine öffentliche Debatte, um auch Frauen das Amt des Kaisers zu ermöglichen. Vermutlich waren diese Diskussionen der Anlass für Depressionen, an denen Masako erkrankte. Das Hofamt umschrieb die Erkrankung mit “Anpassungsstörungen”.

Naruhito verteidigte seine Frau öffentlich

Naruhito nahm seine Frau öffentlich in Schutz und sagte, sie habe “mit großer Kraft versucht, sich der kaiserlichen Familie anzupassen.” Doch das habe sie seiner Meinung nach völlig erschöpft. Die Debatte wurde beendet, als 2006 Prinz Hisahito (13) zur Welt kam, der Sohn von Naruhitos jüngerem Bruder Prinz Fumihito (53). Endlich hatte die Kaiserfamilie wieder einen männlichen Thronerben. Das Kind nimmt nun in der Thronfolge Rang zwei ein, nach Fumihito, dem Bruder des Tennos.

Masako ist nun Kaiserin, allerdings in der zweiten Reihe. Sie nahm gestern in einem hellen, mehrschichtigen Kimono auf ihrem kleineren “Michodai”-Thron Platz. Und sie wird neben ihrem Mann, dem Tenno, im offenen Wagen bei der Parade durch die Hauptstadt Tokio sitzen. Dieser Teil des Protokolls wurde aus Rücksicht auf die Opfer einer kürzlichen Taifun-Katastrophe auf den 10. November verschoben. Es folgt noch eine letzte, religiöse Zeremonie, bei der Naruhito seiner Sonnengöttin Amaterasu für den neuen Reis dankt und ihr Reis und Sake anbietet. Erst dann ist Naruhito endgültig in der Reihe der Kaiser von Japan angekommen.

(ln/spot)

Beliebteste Artikel Aktuell: