Test/Review: Avegant Glyph – Bildpunkte auf der Netzhaut


Über 800 Tagen nach der Kickstarter-Kampagne, halte ich das Avegant Glyph nun endlich in meinen Händen und bin hin und her gerissen von einem spannenden Stück Technik, welches mir Licht ins Auge schießt und meine Netzhaut als Projektionsfläche missbraucht.

Auf der Welle von Virtual Reality

Seitdem Palmer Luckey mit seiner kleinen Firma namens Oculus im Sommer 2013 einen Hype um das Thema Virtual Reality auslösten und die gesamte Technikwelt in Aufruhr brachten, interessierten sich immer mehr für scharfe Displays und entsprechende Technologien. So überraschte es nicht, dass Avegant im CNET-Studio bei der ersten Vorstellung der “revolutionären” Virtual-Retinal-Display-Technologie einige VR-Enthusiasten aufhorchen ließ, obwohl man hier schon betonte, dass nicht die Virtual Reality-Anwendungsmöglichkeiten im Fokus stehen.
Auch ich war darunter und verfolgte ab diesem Zeitpunkt die Neuigkeiten und Entwicklungen des Startups.

Seitdem ich zum ersten mal den 720p-OLED-Bildschirm des ersten Galaxy Note gesehen hatte, war ich begeistert von scharfen Displays, die den Konsum von Videos und Spielen angenehmer machen. Auf dem FHD-OLED-Panel meines Galaxy S4 habe ich etliche Stunden an Serien und Filmen geschaut und war mit dem Oppo Find 7 unter den Erstkäufern des ersten QuadHD-Handys.

Avegant startete im Januar 2014 eine Kickstarter-Kampagne und präsentierte das “Glyph”. Ein übergroßer Kopfhörer, der sich nach vorne klappen lies und dann ein Bild ausgeben konnte. Ich unterstützte das Projekt und 3.331 weitere Backer taten es mir gleich. Die 1,5 Millionen Dollar, die so zusammen kamen, gaben der jungen Firma das Startgeld, um die Entwicklung fortzuführen, weitere Investoren zu finden und letztendlich ein echtes Produkt auf den Markt zu bringen. Kurz darauf folgten weitere 9 Millionen Dollar von Intel.
Der Oculus bzw. Kickstarter-Hype verhalf Avegant ein Fundament zu entwickeln. Potenziellen Investoren wurde gezeigt, dass es genug Kunden gibt, die sich für ein gutes Bild Licht auf ihre Netzhaut projizieren lassen würden.

 

Bedauerlicherweise folgten auf die erfolgreiche Kickstarter-Kampagne etliche Verschiebungen und der ursprüngliche Erscheinungstermin von Dezember 2014 wurde immer weiter nach hinten verschoben. Zudem wurde das Glyph neu designt und verlor unter anderem sein Noice-Canceling-Feature, was vielen Backern sauer aufstieß.
Noch enttäuschender als die ständigen Verschiebungen und unerwarteten Hardwareänderungen, war jedoch die äußerst spärliche Kommunikation des Startups. Obwohl man als Backer eine nicht unerhebliche Investition von 550$ in Fremden Hände legte, und eventuell nicht mal ein fertiges Produkt bekommt, wurde man weder in den Entwicklungsprozess, noch in die Arbeit eingeweiht. Wo andere Firmen mal ein paar Prototypen oder mindestens die Arbeitsplätze zeigen, gab es von Avegant nur das aller nötigste zu sehen. Nachrichten bezogen sich in der Regel auf erneute Verschiebungen und gipfelten in einem äußerst chaotisch ablaufenden Lieferungen an die nicht-amerikanischen Unterstützer. Aber das bekommt ja anscheinend nicht mal Oculus mit 2 Milliarden Facebook-Dollar im Rücken richtig hin ;)

Letztendlich hatte ich dann vor gut vier Wochen tatsächlich den unscheinbaren Karton von Avegant vor mir stehen. Der Versand erfolgte aus China. Ich musste keine Zollgebühren o.ä. zahlen.

Verpackung und Ersteindruck

Die Verpackung kommt sehr unscheinbar daher. Auf der Frontseite der schlicht in weiß gehaltenen Umverpackung findet sich das Avegant-Logo, ein Bild des Headsets und die Kickstarter-Labelung: “Founder’s Edition”. Allerdings gibt es keinen Unterschied zu den normalen Einheiten, die Vorbesteller und Endkunden erhalten. Lediglich eine individuelle Gravierung einer Taste konnte man sich vorher aussuchen.
Auf der Rückseite steht eine kurze Beschreibung und die reinen technischen Daten. Auf der linken Außenseite wird nochmal etwas detaillierter die verwendete und patentierte “Retinal Imaging Technology” erklärt, wohingegen auf der gegenüberliegenden Seite der Inhalt der Verpackung und eine kleine Kompatibilitätsliste stehen.

Darunter geht es ebenso schlicht weiter. Alle Komponenten befinden sich in umweltfreundlichen braunen Kartons oder weißen Schalen aus recycelten Material. Im Lieferumfang ist das Headset selbst, eine magnetische Schutzklappe für die Linsen, 4 verschiedene Nasenhalterungen, ein Mikrofasertuch, ein Qick-Start-Guide, ein micro-USB Ladekabel, ein Micro-HDMI auf HDMI Bildkabel, ein Kopfband und zu guter Letzt ein Transportbeutel.

Die Qualität des Zubehörs macht zunächst einen guten Eindruck. Allerdings riss die Gummischnur, die den Transportbeutel zusammenhält nach nur zwei Benutzungen in der Mitte durch. Die Nasenhalterungen werden in einer dünnen Papierhalterung platziert, welche diese kaum halten kann – beim Transport fliegen diese nach kurzer Zeit kreuz und quer durch den Beutel. Die Kabel sind dagegen stabil und ausreichend flexibel.
Der Fokus wurde ganz klar auf das Headset gelegt. Dieses ist, bis auf die etwas zu locker sitzenden Linsen, extrem hochwertig und sehr gut verarbeitet. Es wirkt robust und wie ein stabiles Paar Kopfhörer, welche man bedenkenlos mit auf Reisen nehmen kann.

Man muss es sich einrichten können

Ein Einleitungsvideo auf der Website von Avegant fungiert zusammen mit dem Quick-Sart-Guide aus dem Karton als Einführung in die Benutzung des Glyphs. Da man ein möglichst scharfes Bild und einen angenehmen Halt auf dem Kopf haben möchte, gibt es so einige Einstellungsmöglichkeiten. Die Feder des Headsets selbst ist nicht zu stark. So habe ich mit einem relativ schmalen Kopf noch einen guten Halt und benötige das Kopfband nur bei sehr langen Spielesessions oder Bingewatching. Die Bügel lassen sich ausfahren, sodass man den Bildbereich möglichst nah an das Auge positionieren kann. Die Wahl der richtigen magnetischen Nasenhalterung ist dabei wichtig. Deren Höhe lässt sich mit einem kleinen Rädchen zwischen den Linsen verändern. Ziel ist es das Bild vertikal mittig zu sehen. Auf der Oberseite befinden sich zwei Schieberegler, womit man seinen Augenabstand richtig einstellt. Hat man ein einzelnes Bild vor sich lässt sich noch an den Optiken drehen, um etwaige Sehschwächen auszugleichen.

Bei der ersten Benutzung der Glyph ist man überfordert. Ich habe gut 15 Minuten gebraucht, um alles richtig auszurichten und anzupassen, nur um 30 Minuten später nochmal alles einzustellen. Danach hatte ich allerdings den Bogen raus und brauche jetzt nur noch ein paar Sekunden vor jeder Nutzung.

Bedienelemente

Bei der Bedienung wird es dann relativ unkompliziert. Der Ein/Aus-Schalter lässt sich nach oben kippen. Drückt man ihn noch ein Stückchen weiter wird die Bluetooth-Verbindung aufgebaut. Dann lässt sich das Glyph mit einem Gerät verbinden. Über eine App werden Firmware-Updates installiert. Eine Audio-Verbindung über Bluetooth ist aktuell noch nicht möglich, soll aber mit eben dieser Update-Funktion nachgereicht werden.
Auf den Außenseiten der Glyph befinden sich insgesamt 7 Tasten. Hört sich erst einmal viel an, ist aber nach kurzer Benutzung leicht verinnerlicht. An der rechten Seite sind 4 Tasten, die kreuzweise angeordnet sind. Dazu eine runde (gravierbare) Taste in der Mitte. Letztere schaltet lediglich den Ton aus. Nach oben und unten regulieren die Lautstärke, nach vorne zeigt ein Testbild und nach hinten ändert die Helligkeit in 3 Stufen. Ich benutze immer die niedrigste, weil das Bild aufgrund der Beamer-ähnlichen Technik schon äußerst hell und klar ist.

Auf der linken Seite befinden sich dann nur noch zwei Tasten für die Sonderfunktionen. Nach oben schaltet den Side-by-side-3D Modus ein. Nach unten aktiviert den Headtracking-Modus über Bluetooth, welcher ebenfalls erst per Software-Update nachgeliefert wird.

Der fließende Wechsel vom Video- in den Audio-Modus gestaltet sich etwas fummelig. Die Optiken müssen erst reingedrückt, die Schutzklappe drüber gestülpt und die Bügel auseinandergezogen werden. Vom einfachen Hochklappen aus den Promo-Videos ist dies weit entfernt und im Alltag zu umständlich. Zudem sieht das Glyph im Audio-Modus sehr gewöhnungsbedürftig aus. Es ist wesentlich größer als alle High-end-Kopfhörer, die ich bis jetzt gesehen habe. Zudem sorgt der Linsen-Bereich am Bügel für einen großen schwarzen Kasten auf dem Kopf, der unangenehm drückt und extrem weit nach oben steht. Erschwerend kommt noch hinzu, dass man für den Audiogenuss ein AUXü+-Kabel benötigt, welches sich nicht im Lieferumfang befindet. Natürlich handelt es sich hier um ein eher banales Stück Zubehör, welches aber nicht jeder besitzt.

Avegant hätte gut daran getan diesen (sicherlich nur wenige Cent teuren) Artikel dabei zu legen. Durch diese Entscheidung entsteht der Eindruck, dass man sich mehr auf die Videofunktion konzentriert hat.

Kompatibilität mit Hindernissen

Das Glyph sitzt gut auf der Nase, das weiße Testbild mit dem Avegant-Schriftzug ist möglichst scharf gestellt und man steckt den HDMI-Stecker in ein kompatibles Gerät. Hier ergeben sich dann allerdings erneut Schwierigkeiten. Das Glyph hat keine eigene Rechenpower und kann deshalb ein Bild, welches höher aufgelöst ist, nicht umwandeln. Das hat zur Folge, dass man das Ausgangssignal der Spielekonsole, des Bluray-Player oder Satelliten-Receivers erst auf 720p oder 480p stellen muss. Will man das Glyph an ein mobiles Gerät wie Smartphone oder Tablet anschließen, braucht dieses zwingend die MHL- bzw. Slimport-Funktion. Dieses Hardware-Feature sorgt dafür, dass über den Micro-USB Anschluss des Gerätes, mit einem entsprechenden Adapter, ein Bild ausgegeben werden kann. Als Avegant vor zweieinhalb Jahren die Kickstarter-Kampagne gestartet hat, gab es diese Funktion noch in vielen mobilen Devices.

Mittlerweile ist allerdings ein Trend zur kabellosen Bildübertragung durch z.B. Miracast zu beobachten. Von den großen Smartphoneherstellern besitzen lediglich einige Modelle von Sony, LG und die meisten Apple-Geräte das MHL-Feature noch. Samsung, HTC, Oppo oder Xiaomi sparen sich die Lizenzgebühren und setzen auf das Übertragen via Wifi.

Keine Probleme haben Windowsgeräte. Meine beiden Windows 10 Rechner (Notebook/Tower) sowie das Surface 3 meines Bruders haben das Glyph sofort als zusätzlichen 720p-Monitor erkannt.

Somit nutze ich das Glyph hauptsächlich am PC, da mein aktuelles Smartphone keine MHL- oder Slimport-Funktion besitzt.
Ich testete auch die Kompatibilität zu meinem Raspberry Pi mit Kodi, einem Satelliten-Receiver und diversen Videospielkonsolen (PS4, Xbox One, Wii U, PS3 und Xbox 360). Bis auf die Windowsrechner musste ich bei allen das Ausgangssignal anpassen. Anschließend verlief die Nutzung problemlos. Für den Einsatz im Wohnzimmer könnte das Kabel allerdings etwas kurz sein. Die 1,8 Meter benötigen definitiv eine Verlängerung, wenn man entspannt auf der Couch sitzen möchte.

Bildqualität – kleiner Netzhautzauber

Beim ersten Aufsetzen fällt zunächst das etwas kleine Bild auf. Dies ist weit entfernt davon einen idealen Platz im Kino zu simulieren. Man sitzt eher in den hinteren Reihen. Persönlich sitze ich 4m von meinem 46 Zoll TV entfernt und das Bild des Glyphs ist nur ein wenig größer. Laut Avegant ist dies das ideale Verhältnis von Bildgröße, Augenabstand und Auflösung. Vermutlich haben jedoch noch andere Faktoren eine nicht unerhebliche Rolle gespielt, da das Bild an den Rändern leicht verwaschen ist. Die Linsen sind im 1:1 Format, während die Ausgabe 16:9 benötigt. Daraus resultiert die leichte Unschärfe und der Eindruck als würde man mit einem Fernglas auf einen Fernseher schauen. Dieser Vergleich hinkt allerdings etwas, da beim Glyph alles um das Bild herum schwarz ist und es nur wenige Zentimeter entfernt zu sein scheint. Einen kleinen Raum, in dem das Bildschirmfenster platziert ist, nimmt man definitiv war. Er trägt jedoch zur räumlichen Wahrnehmung bei 3D Inhalten bei. Dazu gleich mehr.

Insgesamt könnte das Bild also durchaus noch etwas größer sein. Trotz der Einschränkungen durch Optiken und der kompakten Bauweise, hat man jedoch ein recht annehmbares und durchaus immersives Erlebnis. Das Ziel, ein kleines privates Kino vor den Augen zu haben, wurde auf jeden Fall erfüllt. Man sitzt nicht auf dem perfekten Platz im Parkett, dafür aber in der Loge.

Warum ich hoffe, dass Avegant beim Nachfolger auf ein größeres Bild setzt? Weil die Auflösung das definitiv mitmacht!
Wer ein eingestelltes Glyph aufsetzt, wird auf jeden Fall an seinem Urteilsvermögen bezüglich Displays und Auflösungen zweifeln. Was dieses Headset einem auf die Retina projiziert, sieht nicht aus wie 720p. Die wahrgenommene Auflösung liegt eher im Bereich von 1080p oder gar Quad-HD. Je höher die Qualität des Materials, umso besser die gefühlte Schärfe. Nativer Content von Videospielen oder Blurays mit einer hohen Bitrate, sind einfach nur beeindruckend.

Die reflektierte Fülle

Da es sich bei dem Virtual-retinal-Display um eine Variante der DLP-Technik von Beamern handelt, ist der Schwarzwert zwar relativ schlecht (dunkelgrau) dafür aber die Füllrate der einzelnen Pixel sehr hoch. Bei einem herkömmlichen Display-Panel wie es in LCD oder OLED Bildschirmen genutzt wird, hat jeder Pixel noch weitere Sub-Pixel, die den RGB-Farbraum abdecken. Wird also z.B. die Farbe Rot dargestellt, leuchtet nur einer der drei Sub-Pixel, während die anderen nur unterstützend an der Darstellung mitarbeiten. Je nach Panel entstehen so auch diverse Farbstiche bei der Darstellung von besonders klaren Farben. Samsung, LG und Co. versuchen mit weiteren Sub-Pixeln und diversen anderen Verbesserungen einen höheren Füllfaktor zu erreichen, bleiben dabei jedoch hinter den Möglichkeiten der DLP-Technik zurück. Diese stellt mit einem Bildpunkt genau die Farbe dar, die ausgegeben werden soll und erreicht eine klare, korrekte und rasterlose Wiedergabe der Bildinformationen.

Ein weiterer Vorteil ist die Passivität der Bildausgabe. Weil das Licht zunächst auf eine Fläche (z.B. die Kinoleinwand) trifft und erst dann das Auge erreicht, ermüden diese nicht so schnell. Normale Panels strahlen das Licht direkt und unreflektiert auf die Augen.
Avegant wurde auch nicht müde zu betonen, dass beim Glyph das Licht über 2 Millionen kleine Mikro-Spiegelchen zu den Optiken und dann erst auf das Auge projiziert wird. Der augenschonende Effekt sei also hier vorhanden und orientiere sich an unserem normalen, auf reflektiertem Licht von Objekten basierenden Sehverhalten.

Nach etlichen Stunden mit dem Glyph auf meiner Nase kann ich dies zwar bestätigen, allerdings macht die extreme Helligkeit des Bildes diesen Effekt ein wenig zunichte. Ich habe zu keiner Zeit die zwei höheren der drei Helligkeitsstufen genutzt, weil diese meinen Augen nicht gut taten. Man kann durchaus länger mit der Glyph aushalten, als z.B. vor einem TV oder Monitor. So angenehm wie von Avagent beschrieben, ist es aber nicht. Ich hoffe noch auf ein per Software-Update nachgelieferte Möglichkeit, das Bild noch dunkler zu machen.

Man könnte meinen, die stärkeren Stufen gegen Sonnenlicht zu nutzen, wie man es von Handys gewöhnt ist. Doch erstaunlicherweise ist das Glyph vollkommen unempfindlich gegenüber den Strahlen unseres System-Mittelpunktes. Weil es keinen Bildschirm hat, bleibt das Display selbst bei direkter Einstrahlung auf die Linsen oder Augen klar und frei von Störungen.

Ich habe das Glyph die letzten Tage oft beim Abendessen im Garten genutzt. Dank des festen Halts auf der Nase, dem großen peripheren Sichtfeld und der eben erwähnten Sonnenunempfindlichkeit war dies eine sehr angenehm.

Tonqualität – Mittelmäßigkeit mit guten Mitten

Noch kurz ein paar Worte zum Sound. Dass es noch kein Bluetooth-Audio gibt, ist sicherlich enttäuschend und aufgrund des nicht mitgelieferten AUX-Kabels doppelt ärgerlich. Viel gravierender ist der Verzicht auf Noice-Cancelling. Man hat sein eigenes kleines Kino auf der Nase und wird trotzdem ständig durch Geräusche von außen gestört. Die Kopfhörer sind zwar komplett geschlossen, schaffen es jedoch nicht sich gegen Umgebungsgeräusche zu wehren. Dies ist wirklich nervig und ein Muss beim einem eventuellen Nachfolger.

Die generelle Audio-Qualität ist relativ neutral gehalten und unspektakulär. Meine 25€ teuren No-Name-Kopfhörer haben wesentlich bessere Tiefen und Höhen. Das Glyph punktet bei den Mitten und der Variabilität. Filme kommen ebenso gut rüber wie diverse Musikrichtungen von Hip-Hop bis Klassik. Der Equalizer am Ausgabegerät muss bei spezifizierten Anwendungen dementsprechend eingestellt werden.

Spielerische Tiefe

Eine unterschätzte Stärke des Glyphs ist seine 3D-Fähigkeit. Ähnlich wie bei VR-Brillen entsteht durch zwei separaten Bilder für jedes Auge ein sehr wirkungsvoller Tiefeneffekt. Ich habe diverse 3D-Filme/Clips und Spiele geschaut bzw. gespielt. Bei Videocontent gewöhnt sich das Gehirn nach kurzer Zeit an das gezeigte Material. Ähnlich wie im Kino müssen spezielle Kamerafahrten oder bewegende Objekte dafür sorgen, dass alle paar Minuten die Vorzüge hervorgehoben werden.

Im Gegensatz dazu profitieren Videospiele von der wahrnehmbaren Tiefe im dreidimensionalen Raum – auch spielerisch. Beim achtionlastige Jump ‘n’ Run Psychonauts konnte ich Abgründe und Distanzen besser abschätzen oder gezielter Attacken ausweichen. In Ego-Shootern wie Far Cry 4 oder Metro:2033 war es möglich vorher um die Ecke zu schauen und ein besseres Gefühl für den Bewegungsfreiraum und damit den Kampfbereich zu bekommen.
Das Glyph intensiviert das Spielerlebnis im zweidimensionalen Modus und bereichert es, wenn noch eine weitere Dimension hinzu kommt.

Ein Qualitätsverlust durch das Side-by-Side-Format ist teilweise fest zu stellen,. Da in der Horizontalen die Bildinformationen halbiert werden, bleibt das Bild zwar scharf, sehr feine Details und Kanten leiden aber. So kommt es zur Treppchenbildung. Beim Spielen lassen sich durch die leistungsschonende Auflösung von 720p sehr viele grafische Zusatzoptionen, wie Kantenglättung oder V-Sync, hochschrauben. Ganz bekommt man aber das Problem dadurch nicht in den Griff, weil die Bildinformationen schlichtweg nicht da sind.

Und wieder mal Kompatibiltätsprobleme

Sowohl bei Spielen als auch bei Videos gibt es jedoch erneut Probleme mit der Kompatibilität. Während man mit Tridef für 40$ ein recht gutes 3D-Tool für etliche DirectX 9-11 Spiele bekommt und die Darstellung im Side-by-Side-Format problemlos klappt, ist man bei Videos noch mehr auf eine spezifische Ausgabe angewiesen. Die großen Videoplattformen wie Vimeo oder YouTube bieten zwar ein stattliche Anzahl von mal mehr, mal weniger guten Videos, wer jedoch qualitativ hochwertiges Material von Blurays haben und legal bleiben möchte, muss zunächst den Content von der blauen Scheibe auslesen (entsprechende Hardware und Softwarekenntnis vorausgesetzt) und im schlimmsten Fall noch mal auf 720p umwandeln. Bei 3D-Material verhält es sich genauso. Für Technik-Erfahrende wie mich, mag das kein Problem sein, dem Casual-User werden hier aber erneut unnötigerweise Steine in den Weg gelegt.

Fazit – beeindruckendes Bild mit Schwächen im Konzept

Display-Technologie und Hardware überzeugen auf ganzer Linie. Das Virtual-Retinal-Display zaubert ein unfassbar scharfes Bild auf die Retina und intensiviert jede Erfahrung auf eine unaufdringliche Art. Wer sich die Zeit für die erstmalige Einstellung nimmt und dem Glyph eine Chance gibt, wird definitiv sehr viele Vorzüge finden.

Das gezeigte Bild ist zwar auch auf der niedrigsten Helligkeitsstufe etwas zu hell, lässt sich aber problemlos mehrere Stunden anschauen. Dies ist kein VR-Headset. Man ist nicht “im Video” oder “im Spiel”. Man bekommt “nur” ein nahezu perfektes Bild und kann das Gezeigte möglichst optimal erleben. Auch starkes Sonnenlicht kann dagegen nichts ausrichten. Weiterhin ist das periphäre Sichtfeld beim Tragen groß genug, um problemlos eine Mahlzeit einnehmen oder sich mit Mitmenschen unterhalten zu können. Hinzu kommt die Mobilität. Mit einer Akkulaufzeit von 4 Stunden lässt sich so eine längere Zugfahrt oder ein Flug erträglicher gestalten.

Nicht zu unterschätzende Einschränkungen gibt es bei der Kompatibilität. Der HDMI-Standard mag auf den ersten Blick eine große Auswahl an Zuspielgeräten unterstützen, doch insbesondere wenn es um den mobilen Sektor geht, gibt es erschreckend wenige kompatible Smartphones und Tablets. Damit verfehlt das Glpyh ein wenig sein Einsatzgebiet. Während man in den heimischen 4 Wänden genug Quellen zur Verfügung hat, muss man sich außerhalb dieser schon auf die Devices bestimmter Hersteller konzentrieren, um am Ende nicht nur übergroße und unbequeme Kopfhörer mit sich herum zu schleppen.

Weitere kleinere Probleme wie die fehlende Bluetooth-Audio-Verbindung oder das gar nicht erst integrierte Noise-Cancelling lassen erst recht Zweifel an der mobilen Alltagstauglichkeit aufkommen. Das, trotz des guten Designs, insgesamt sehr große Glyph, ist im Audio-Modus eher unhandlich und schmerzt zudem auf dem Kopf. Der “Umbau” in den Video-Mouds ist durch die vielen Einzelteile wie Linsencover, Nasenstücke oder dem Wechseln der Kabel unnötig umständlich.

Gegenüber der aktuell medienbestimmenden VR-Brillen wirkt das Glpyh relativ uninteressant. Vieler meiner Freunde waren enttäuscht und hatten aufgrund des Designs ein Virtual-Realtiy-Funktionsweise erwartet. Es ist bei weitem nicht so spektakulär und ist eher unscheinbar.

Doch genau darin besteht die große Stärke. Man hat immer ein mobiles und sehr gutes Display zur Hand. Als ich meinen Freunden das Oculus Rift oder die HTC Vive zeigte und meinen Rechner mitschleppen musste, konnte ich vor Ort das Glyph anschließen und war nicht auf einen Monitor oder TV im selben Raum angewiesen. Diese Unabhängigkeit lies mich letztendlich das Konzept verstehen. Ich akzeptiere die Limitierungen und genieße die Vorzüge. Insbesondere Bei Videospielen und 3D-Inhalten überzeugt mich das Kickstarter-Projekt jedes mal aufs Neue. Die anständige Akkulaufaufzeit von 4 Stunden bestärkt diesen positiven Eindruck. Durch den Micro-USB-Anschluss hat man sowieso immer ein Kabel zu Hand.

Für ein Produkt der ersten Generation ist das Glyph zwar beeindruckend, dennoch beschleicht einen das Gefühl, dass so manche Design-Entscheidungen in die falsche Richtung gegangen sind. Avegant hat es trotzdem geschafft das ursprüngliche Konzept eines kleinen “Kopfkinos” in ein reales Produkt zu verwandeln. Einmal erlebt, zieht man das Glyph jedem Monitor vor. Auch VR Brillen können aktuell daran nichts ändern, weil Non-VR-Content viel zu pixelig dargestellt wird.

Eine Weiterentwicklung der spannenden Displaytechnologie ist ein Muss. In der zweiten Generation sollte das Glyph, kleiner werden und die grundsätzlichen Funktionen bieten, die man von einem so hochmodernen und teuren Wearable erwarten kann.

Bis dahin kaufen sich early adopter das Gerät zum überteuerten Preis und unterstützen so die Entwicklung des Virtual-Retinal-Display. Dieses ist nämlich einfach nur unglaublich und birgt unfassbar viel Potenzial in sich. Zwar hinterlässt das Glyph nach jeder Nutzung einen kleinen roten Punkt auf der Nase, meine Netzhaut dankt trotzdem recht herzlich dafür, immer wieder für dieses wunderschöne Erlebnis missbraucht zu werden. Dafür nimmt man dann auch den roten Punkt auf der Nase nach der Nutzung in Kauf ;)

 

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