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Bundesrechnungshof warnt vor weiteren rechtlichen Risiken für Bundes-Etat

Unter wachsendem Druck haben die Spitzen der Koalition am Dienstag ihre Beratungen über einen verfassungskonformen Bundeshaushalt für das kommende Jahr fortgesetzt. Erschwert wurden die Beratungen durch anhaltende rechtliche Risiken. Ein Gutachten des Bundesrechnungshof zum Nachtragshaushalt 2023 kam zu dem Schluss, dass die von der Koalition geplante nachträgliche Aussetzung der Schuldenbremse "verfassungsrechtlich äußerst problematisch" sei.

Den Prüfern zufolge hat die Bundesregierung bei der Berechnung der Neuverschuldung nicht alle Sondervermögen berücksichtigt - was sie auf Grundlage des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts aber hätte tun müssen. Das Gutachten des Bundesrechnungshofs lag AFP vor, zunächst hatte das "Handelsblatt" darüber berichtet.

Die Rechnungsprüfer bemängeln zudem, dass die Ampelkoalition rückwirkend für 2023 eine Notlage erklären will, weil sie sonst gegen die Regeln der Schuldenbremse verstößt. Dies könnte "mit dem parlamentarischen Budgetrecht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise in Konflikt stehen", heißt es in der Stellungnahme. 

Die Bundesregierung hatte dem Bundestag vorgeschlagen, nachträglich für das Jahr 2023 eine Notlage festzustellen - mit Verweis auf den "Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Energiepreisschock", der "auch noch im Jahr 2023 deutlich spürbar" gewesen sei. 

Der Chefhaushälter der Union, Christian Haase (CDU), warnte die Bundesregierung im "Handelsblatt" vor neuen rechtlichen Problemen. Die Ampelkoalition müsse diese ernst nehmen "und nicht wie in der Vergangenheit einfach drüber hinweggehen", sagte er.

Die Frage, ob der Nachtragshaushalt verfassungsgemäß ist, stand am Dienstag auch im Zentrum einer Sachverständigenanhörung im Haushaltsausschuss des Bundestags. Die Fachleute kamen dabei zu unterschiedlichen Antworten. 

Die nachträgliche Feststellung der Notlage sei "geradezu der einzige verfassungskonforme Weg, um einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen", sagte etwa der Berliner Wirtschaftsprofessor Alexander Thiele. "Dieser Haushalt ist nicht nur verfassungsgemäß, sondern nachgerade verfassungsnotwendig."

Widerspruch kam von dem Erlanger Ökonomen Thiess Büttner. Der Professor teilte den Befund des Bundesrechnungshofs, wonach der Nachtragshaushalt die aus dem Etat ausgelagerten Sondervermögen berücksichtigen müsste. Deren Umfang bezifferte Büttner auf 18 Milliarden Euro. Die Vorlage der Bundesregierung sei deshalb "problematisch".

Linken-Chefin Janine Wissler resümierte, die Anhörung habe deutlich gemacht, "wie schwer es für die Bundesregierung wird, die unsinnige Schuldenbremse zu umgehen". Die Lage "vergrößert die Unsicherheit und macht seriöse Planung nahezu unmöglich", sagte sie zu AFP.

Grund für die Änderung am Etat 2023 ist ein Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Richter in Karlsruhe hatten bestimmte Sondervermögen neben dem regulären Haushalt für unzulässig erklärt. Deshalb müssen nun fast 45 Milliarden Euro zusätzliche Schulden in das Budget 2023 geschrieben werden. Dies erfordert in diesem Jahr erneut die Aussetzung der Schuldenbremse des Grundgesetzes.

Derweil führten die Koalitionsspitzen weitere vertrauliche Gespräche zum Bundeshaushalt 2024, um auch dort die Vorgaben des Verfassungsgerichts umzusetzen. Seit Tagen versuchen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), sich auf einen Rahmen für den Etat 2024 zu verständigen. Lindner hatte den Fehlbetrag auf 17 Milliarden Euro beziffert. 

Vor dem Hintergrund dieser Gespräche bekräftigte die FDP-Bundestagsfraktion ihre roten Linien. "Die Schuldenbremse steht für 2024, und Steuererhöhungen wird es nicht geben", sagte der FDP-Haushaltsexperte Christoph Meyer der Nachrichtenagentur AFP. "Diese beiden Linien sind allseits bekannt und im Koalitionsvertrag verankert."

Meyer kritisierte die Forderung der Koalitionspartner SPD und Grüne, die Schuldenbremse auch für das Jahr 2024 auszusetzen. "Man kann nicht beliebig eine Notlage konstruieren und die Staatsverschuldung erhöhen, nur weil sich der Staat bei den Ausgaben einschränken muss."

Zum Stand der internen Beratungen sagte Scholz am Montagabend, die Koalitionsspitzen seien dabei, die Haushaltsfragen "sehr zügig jetzt zu lösen, damit ganz schnell Klarheit herrscht." Vor Journalisten fügte er hinzu: "Wir werden Ihnen sagen, wann wir fertig sind."

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