100320:

EU-Gipfel in Porto soll Europa sozialer machen

Treffen von Streit mit Polen und Ungarn um LGBT-Rechte überschattet

Die EU-Staats- und Regierungschefs sind zu ihrem ersten Sozialgipfel seit dreieinhalb Jahren zusammengekommen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte am Freitag im portugiesischen Porto die Notwendigkeit, die EU vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Verwerfungen der Corona-Krise sozial zu stärken. Überschattet wurde das Treffen durch einen Streit mit Ungarn und Polen über einen Verweis auf LGBT-Rechte in der Gipfelerklärung.

Der Gipfel komme zur rechten Zeit, sagte von der Leyen. "Wir haben ein sehr hartes Pandemie-Jahr hinter uns", das schwierig für viele Menschen gewesen sei. "Wir müssen sicherstellen, dass der soziale Aspekt absolute Priorität hat." Zudem müsse die EU angesichts der Herausforderungen durch Klimawandel und Digitalisierung ein stärkeres Gewicht auf Weiter- und Höherbildung legen, um in Zukunft "gute Jobs" zu garantieren.

Das Treffen in Porto begann am Nachmittag mit einer Sozialkonferenz mit Spitzenvertretern der EU-Institutionen, Sozialpartnern und einem Teil der Staats- und Regierungschefs. "Das soziale Europa ist wichtiger denn je", erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der Deutschland bei der Konferenz vertrat. Ziel müsse es sein, überall in der EU die Lebensverhältnisse zu verbessern und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen.

Das zweitägige Treffen in Porto ist der erste EU-Sozialgipfel seit 2017. Er soll an die Beschlüsse des vorangegangenen Treffens im schwedischen Göteborg anknüpfen. Dort hatten die Staats- und Regierungschefs eine "europäische Säule sozialer Rechte" vereinbart, die vom Anrecht auf lebenslange Weiterbildung über "angemessene Mindestlöhne" bis zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern reichen.

Die konkrete Umsetzung steht dreieinhalb Jahre nach Göteborg noch immer aus - auch weil ein Teil der Mitgliedstaaten soziale Fragen primär als nationale Angelegenheit sieht. Laut Entwurf der Gipfelerklärung wollen die Staats- und Regierungschefs die Göteborg-Beschlüsse bekräftigen und sich hinter einen Aktionsplan der EU-Kommission zur Umsetzung stellen.

Die EU-Behörde hatte darin im März drei Hauptziele bis zum Jahr 2030 formuliert: eine Beschäftigungsquote von mindestens 78 Prozent, Fortbildung für mindestens 60 Prozent der Erwachsenen jährlich und die Verringerung der Zahl von Menschen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, um mindestens 15 Millionen, darunter fünf Millionen Kinder.

Betonen wollen die Gipfelteilnehmer auch die Unterstützung für junge Menschen. Denn diese seien in ihren Berufs- und Ausbildungsplänen durch die Corona-Pandemie "sehr negativ getroffen" worden, heißt es im Erklärungsentwurf. Die EU müsse deshalb "vorrangig Maßnahmen zur Unterstützung junger Menschen ergreifen".

Über Tage rangen die Mitgliedstaaten über eine Passage, die ursprünglich den Begriff "Geschlechtergleichheit" beinhalten sollte. Polen und Ungarn blockierten dies aber laut Diplomaten vor dem Hintergrund christlicher Familienbilder in ihren Ländern, weil sie darin einen Verweis auf LGBT-Rechte sahen. Der Begriff kommt nun in der finalen Version des Erklärungsentwurfs nicht mehr vor, die am Samstag verabschiedet werden soll.

Es gehe um einen "ideologisch motivierten Ausdruck, dessen Bedeutung nicht klar ist", sagte Ungarns Regierungschef Viktor Orban in Porto. Wenn der Begriff Geschlechtergleichheit verwendet werde, müsse dieser ausdrücklich auf Männer und Frauen verweisen. Aber dies werde von anderen EU-Staaten zurückgewiesen, sagte der Ungar. "Sie mögen die christliche Herangehensweise nicht."

Der eigentliche Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs beginnt am Abend. Dann geht es zunächst um die Corona-Lage und das Verhältnis zu Russland. Am Samstag steht dann die Sozialfrage auf dem Programm. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt dabei nur per Video-Schalte teil. Sie hatte ihr Fernbleiben mit der Corona-Lage in Deutschland erklärt.

by MIGUEL RIOPA