Hannelore Kohl: Ein Leben voller Leiden


Neuer ARD-Film über Kanzlergattin

Sie muss sehr gelitten haben. An ihrer Krankheit, an den Lebensumständen, letztendlich auch, wenn man so will, an der Karriere ihres Mannes, des “ewigen Kanzlers” Helmut Kohl (1930-2017). Am Ende war ihre Kraft völlig aufgebraucht – und Hannelore Kohl (1933-2001) beging Selbstmord. Am 1. Mai zeigt die ARD die große Doku “Hannelore Kohl – Die erste Frau” (Das Erste, 18:30 Uhr), die etwas Licht in das Dunkel um die Motive für diesen Suizid bringt.

Der Film zeichnet das Leben eines Menschen, dessen Schicksal es offensichtlich war, mehr auszuhalten als auszuhalten war. “Die Geschichte von Hannelore Kohl ist auch die Geschichte einer immer einsamer werdenden Frau. Einer, die oft verkannt und noch viel öfter verunglimpft wurde, die immer Stärke zeigen musste und doch viel Gutes bewirkte”, so kündigt die ARD die Sendung an.

Und: “Eine Frau, deren Lebensrhythmus bestimmt war durch Legislaturperioden und das Machtsystem Helmut Kohl und die am Ende auch an der Eiseskälte dieser Machtpolitik zugrunde ging.”

Warum nahm sie sich das Leben?

Ihr Tod am 5. Juli 2001 löste eine Flut von Spekulationen aus, von denen die meisten aus dem Bereich der Fantasie stammten. Der “Spiegel” schrieb: “Für viele war Hannelore Kohl nur das tragische Opfer ihres machtversessenen, egoistischen Mannes. Diejenigen hingegen, die sie genauer kannten, beschrieben sie als kluge, engagierte Frau, die ganz bewusst ein Leben im Schatten Helmut Kohls geführt hatte.”

Wer war Hannelore Kohl? Diese Frage beschäftigte vor fast zehn Jahren bereits den Ufa-Chef Nico Hofmann (60). Der Film- und TV-Produzent hatte eine ganz besondere Nähe zum Thema. Sein Vater Klaus Hofmann war langjähriger Bonner Korrespondent von Helmut Kohls Ludwigshafener Heimatblatt “Die Rheinpfalz”. Mehr noch: Er war ein Vertrauter des mächtigen CDU-Politikers, schrieb dessen Reden und war Autor einer Kohl-Biografie, beide Familien kannten sich gut.

Nico Hofmann wollte aus der Geschichte der Kanzler-Ehefrau ein großes, zweiteiliges Doku-Drama machen, mit Spielszenen, Archiv-Aufnahmen und Interviews mit Zeitzeugen. Arbeitstitel: “Hannelore Kohl – Eine Frau im Schatten”. Die beiden Söhne Walter und Peter Kohl waren eingebunden, als Vorlage für das Drehbuch, das der renommierte Dokumentarfilmer Raymond Ley verfasste, diente Peter Kohls Biografie der Mutter “Hannelore Kohl – Ihr Leben”.

Das Projekt scheiterte an massiven Einsprüchen der Kohls. Der NDR teilte 2015 mit, man werde die Pläne für ein Biopic über Hannelore Kohl aufgeben, “da mit ihrem Sohn Peter Kohl keine einheitliche Sichtweise auf die Anlage der Hauptfigur gefunden werden konnte”. Und Bruder Walter klagte in einem Interview mit “Bunte”: “Unsere Mutter wird durchgängig als kleinbürgerliches Dummchen ohne eigene Meinung dargestellt.”

Zweiter Anlauf war notwendig

Nico Hofmann nahm Abstand von dem Vorhaben, übergab aber das bereits gedrehte Material dem ehemaligen “Spiegel”-Chefredakteur Stefan Aust und dem TV-Journalisten Daniel Bäumler. Die ergänzten die Arbeiten mit weiteren Interviews und historischen Filmaufnahmen und machten aus dem zweiteiligen Drama eine 86-minütige Dokumentation, die jetzt diesen Freitag gezeigt wird und “die untergegangene Welt der Hannelore Kohl ebenso präzise wie diskret beschreibt”. (“Spiegel”)

Die Arbeiten zu dem Film müssen schwierig gewesen sein, weil Hannelore Kohl ein überaus verschwiegener Mensch war. Über das große traumatische Erlebnis in ihrem jungen Leben hat sie nie öffentlich gesprochen. In den letzten Kriegstagen von 1945 wurde sie als Zwölfjährige bei der Flucht aus Sachsen von sowjetischen Soldaten mehrfach vergewaltigt. Sie selbst erzählte nur, auch ihr sei “damals Gewalt angetan worden”, die Soldaten hätten sie “wie einen Zementsack” aus einem Fenster geworfen. Dabei erlitt sie eine Wirbelverletzung, die sie ihr Leben lang quälte.

Ihr Studium der Sprachwissenschaften am Auslands- und Dolmetscherinstitut der Uni Mainz musste sie nach dem Tod ihres Vaters aus finanziellen Gründen aufgeben. Danach arbeitete sie bei einem Verlag in Stuttgart, anschließend als kaufmännische Angestellte bei der BASF in Ludwigshafen. Nach ihrer Heirat und der Geburt der beiden Söhne kümmerte sie sich ausschließlich um den Haushalt der Familie Kohl. Dass sie sich weitgehend bedingungslos in den Dienst ihres prominenten Mannes gestellt hat, sah sie so: “Mein Weg ist der Weg der Wegbegleitung.”

Jahre des Spotts

Es war ein harter Weg. Hannelore Kohl wurde in den 70er- und 80er-Jahren zur Zielscheibe der Verachtung des linksliberalen Milieus. Während ihr Mann als “Birne” und politischer Provinz-Depp verhöhnt wurde, verspottete man seine Frau – ohne sie überhaupt zu kennen – als “Barbie aus der Pfalz” und “blondes Dummchen”. Und für ihre Kinder, so erzählen es Peter und Walter Kohl im Film, sei der Schulbesuch ein Spießrutenlauf gewesen, sogar die Aufnahme in den Sportverein habe man ihnen verwehrt.

Die Terroranschläge der RAF machten das Leben von Hannelore Kohl unerträglich. Ihr Mann war besonders gefährdet, das Kohl-Haus in Oggersheim wurde wie ein Bunker ausgebaut. In diesem Verlies mussten Ehefrau und Kinder leben, während Kohl nur an den Wochenenden (mit seiner zusätzlichen Polizeieskorte) nach Hause kam.

Hannelore Kohl litt zudem seit Jahrzehnten unter einer Penicillin-Allergie. Als sie 1993 nach einer Infektion aus Versehen ein Penicillin-ähnliches Antibiotikum erhalten hatte, war das augenscheinlich der Auslöser für eine Lichtallergie. Sie konnte das tagsüber strikt abgedunkelte Haus nur nach Sonnenuntergang verlassen – und keine Wärme mehr vertragen.

Ein Leben abseits des Lichts

“Ich verbrenne von innen”, soll sie einer Freundin gesagt haben. Das Haus wurde von Klimaanlagen strikt runtergekühlt, so dass Helmut Kohl in eine Kältekammer kam, wenn er an den Wochenenden bei der Familie war. Der Vater sei mit dieser Situation völlig überfordert gewesen, berichten die Söhne.

In dieser Situation, die überdies von der CDU-Spendenaffäre überschattet und bei der Hannelore Kohl laut ihres Sohnes Walter als “Spendenhure” beschimpft wurde, muss der Entschluss zum Selbstmord seit längerem gereift sein.

Sie schrieb über ein Dutzend Abschiedsbriefe an die Familie und Freunde und wurde am nächsten Vormittag von ihrer Haushälterin tot im Schlafzimmer aufgefunden. An der Tür hing ihr Zettel: “Ich schlafe und will später spazieren gehen.”

Den Abschiedsbrief an ihren Mann hat sie mit “Dein Schlänglein” unterzeichnet. Eine gemalte Schlangenlinie als letztes Wort von Hannelore Kohl.

(ln/spot)

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