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KZ-Wächter von Sachsenhausen: 99-jähriger Rentner soll an Verbrechen beteiligt gewesen sein

Ein friedlich wirkender Greis

Frankfurt - Ein alter Mann mit Brille und beiger Jacke spaziert bei strahlendem Sonnenschein durch eine kleine Gemeinde in der Nähe von Frankfurt am Main. Er geht auf einen Stock gestützt, seine Ehefrau begleitet ihn. Vor wenigen Tagen wurde der so friedlich wirkende Greis 99 Jahre alt. Doch der gelernte Konditor soll an grausamen Verbrechen während der NS-Zeit beteiligt gewesen sein.

Der KZ-Wachmann und seine Frau

Reporter der britischen Zeitung "Sun" spürten den rüstig wirkenden Rentner auf: Er heißt Gregor Formanek, gehörte Hitlers verbrecherischer SS an. Reden will er mit den Reportern nicht.

Anklage wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen

Die Staatsanwaltschaft Gießen klagte den Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis vor wenigen Wochen wegen der Beteiligung an nationalsozialistischen Gewaltverbrechen an. "Dem Angeschuldigten wird zur Last gelegt, in der Zeit von Juli 1943 bis Februar 1945 in über 3300 Fällen Beihilfe zum Mord geleistet zu haben," so Thomas Hauburger, Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Grausame Tötungen im KZ Sachsenhausen

Im KZ Sachsenhausen soll Formanek an der Tötung Tausender Insassen beteiligt gewesen sein. Durch Misshandlungen, Zwangsarbeit, die unmenschlichen Lebensbedingungen, medizinische Versuche, Genickschüsse und in einer Gaskammer wurden Zehntausende ermordet.

Entscheidung des Landgerichts Hanau steht aus

Das Landgericht Hanau (Hessen) muss jetzt über die Zulassung der Anklage gegen Formanek entscheiden. Nach einem Gutachten gilt er als eingeschränkt verhandlungsfähig. Er wäre der vermutlich letzte Wächter aus Sachsenhausen, der sich für seine Taten verantworten muss. Aktuell laufen nur noch Ermittlungsverfahren gegen zwei hochbetagte KZ-Wärter (eine Frau und ein Mann) und gegen zwei Wärter von Kriegsgefangenenlagern. Ein Ex-SS-Wächter aus Hamburg ist kürzlich gestorben.

Belastende Unterlagen aus dem Bundesarchiv und dem Stasi-Unterlagenarchiv

BILD liegen zu Formanek Unterlagen aus dem Bundesarchiv und dem Stasi-Unterlagenarchiv vor. Eine Karteikarte aus dem SS-Personalhauptamt dokumentiert, dass der als Sohn eines deutschsprachigen Schneidermeisters in Rumänien geborene Formanek am 4. Juli 1943 in die SS eintrat und dem Wachbatallion Sachsenhausen angehörte.

Grausame Taten laut Stasi-Dokument

Auf einem Stasi-Dokument heißt es: "F. war von 1943 bis 1945 Angehöriger eines SS-Wachbataillons im KZ Sachsenhausen. Dort erschlug er fortgesetzt Häftlinge." Warum die DDR diesem Mordhinweis nicht nachging, ist nicht dokumentiert.

Verurteilung und Haftstrafe

1947 verurteilte ein sowjetisches Militärgericht Formanek zu 25 Jahren Haft, zehn davon saß er in Bautzen ab. Als Grund wird in einigen Dokumenten "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" genannt, in anderen "Spionage".

Ein Nebenkläger tritt auf

Wird die Anklage zugelassen, dann muss sich der KZ-Wächter mehr als sieben Jahrzehnte später vor einem bundesdeutschen Gericht verantworten. Shimon Rotschild (96) wird dann als Nebenkläger auftreten. Er durchlitt die Hölle von Sachsenhausen und ist einer der letzten noch lebenden Häftlinge. Die SS machte mit ihm und zehn weiteren Kindern menschenverachtende medizinische Versuche.