143216:

Minsk drohen nach umstrittener Wahl und Gewalt gegen Demonstranten EU-Sanktionen

Polizei in Belarus geht erneut gewaltsam gegen Demonstranten vor

Nach der umstrittenen Ausrufung des langjährigen Amtsinhabers Alexander Lukaschenko zum Sieger der Präsidentschaftswahl in Belarus drohen dem Land nun Sanktionen der EU: Die EU-Außenminister kommen am Freitag zu einem außerordentlichen Treffen zusammen, um über Strafmaßnahmen gegen die Führung des Landes zu beraten, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch mitteilte. Derweil spitzte sich die Lage in dem autoritär regierten Land weiter zu. Am dritten Tag der Proteste schoss die Polizei in Brest auf Demonstranten - ein Mensch wurde verletzt.

Laut dem amtlichen Wahlergebnis in Belarus hat der seit 26 Jahren regierende Staatschef Alexander Lukaschenko bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag mehr als 80 Prozent der Stimmen geholt. Seine inzwischen nach Litauen geflüchtete Hauptrivalin Swetlana Tichanowskaja, bei deren Wahlkundgebungen großer Andrang geherrscht hatte, kam demnach auf nur rund zehn Prozent.

Die Opposition und andere Regierungskritiker prangerten massive Wahlmanipulationen an. Die EU-Mitgliedstaaten verurteilten die Wahl am Dienstag als "weder frei noch fair" und kündigten an, die Beziehungen zu dem Land auf den "Prüfstand" zu stellen.

Die EU-Außenminister beraten am Freitag per Videokonferenz, politische Entscheidungen können auf diesem Weg nicht getroffen werden. Allerdings kann eine Prüfung in die Wege geleitet werden, welche Optionen die EU hat. "Das würde den Prozess zur Annahme konkreter Maßnahmen beschleunigen", hieß es aus EU-Kreisen.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn drängte im Vorfeld auf eine deutliche Reaktion der EU. "Wir müssen eine einheitliche Position finden, um Druck auf Lukaschenko aufzubauen", sagte Asselborn dem "Tagesspiegel". "Es ist keine Option, nichts zu tun und wegzuschauen."

Die EU prangerte auch die Gewalt gegen regierungskritische Demonstranten und willkürliche Festnahmen an. In Brest, einer Stadt im Südwesten des Landes, schoss die Polizei mit scharfer Munition auf die Demonstranten. Mindestens ein Mensch sei dabei verletzt worden, teilte das Innenministerium am Mittwoch mit. Eine "Gruppe aggressiver Bürger mit Metallstangen" habe die Polizisten angegriffen.

In der Hauptstadt Minsk gingen am Dienstag am dritten Abend in Folge die Sicherheitskräfte brutal gegen die Proteste vor. Polizisten feuerten Blendgranaten ab und schossen mit Gummikugeln auf Protestierende, wie AFP-Reporter berichteten. Dabei ging die Polizei auch gezielt gegen Pressefotografen vor. Beamte zogen demnach Speicherkarten aus deren Kameras und zerstörten Objektive.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisierte die Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Journalisten. Wiederholt seien mehrere in- und ausländische Journalisten mit Schlagstöcken verletzt und zeitweise inhaftiert worden, teilte der Verband mit. "Journalisten sind kein Freiwild."

Die belarussischen Behörden erklärten, die Proteste schwächten sich ab. Sowohl die Zahl der Demonstranten als auch die Zahl der Städte, in denen es zu Protesten kam, habe abgenommen, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums.

Nach Ministeriumsangaben gingen am Dienstagabend in 25 Städten die Menschen auf die Straßen, mehr als tausend Demonstranten wurden festgenommen. Damit stieg die Zahl der Festnahmen seit der Wahl auf insgesamt mehr als 6000.

Mehr als 50 Menschen mussten demnach medizinisch behandelt werden. In der westlichen Stadt Schabinka warf ein Demonstrant einen Molotow-Cocktail auf ein Polizeiauto. In 17 Fällen wurden Ermittlungen wegen Gewalt gegen Polizeibeamte eingeleitet.

Augenzeugen berichten von einem zunehmend brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte. Auf im Internet veröffentlichten Videos war zu sehen, wie die Polizei in Minsk auf am Boden liegende Demonstranten eintrat, mit Schlagstöcken auf Autos einschlug und unbeteiligte Passanten angriff.

Er sei "fassungslos über das beispiellose Maß an Grausamkeit und Gewalt" der Sicherheitskräfte, sagte Oleg Gulak, Leiter der Menschenrechtsorganisation Belarussisches Helsinki-Komitee. "Letzte Nacht war die angsteinflößendste Nacht in der modernen Geschichte von Belarus."

by Sergei GAPON