Ein Popstar, eine Luxuswohnung und ein Urteil, das ein ganzes Land in Rage versetzte. Was wie ein schlechter Fernsehfilm klingt, wurde 2024 zu einem nationalen Aufreger – mit einem prominenten Gesicht im Zentrum: Larissa Dolina. Seit den 80ern galt die Sängerin als eine Art musikalisches Inventar, charmant, unverwüstlich, aber lange ohne großen Hit. Doch plötzlich war sie wieder in aller Munde – allerdings aus Gründen, die sie selbst wohl nie für möglich gehalten hätte.
Alles begann mit einer Immobilie. Dolina hatte sie für 112 Millionen Rubel verkauft – deutlich unter Wert, aber offiziell ein ganz regulärer Deal. Als der Betrag überwiesen war, behauptete die Sängerin jedoch, Opfer eines raffinierten Betrugs geworden zu sein. Unter Druck gesetzt, manipuliert, und das Geld irgendwie weitergeleitet. Ihre Version klang verworren, ließ aber reichlich Raum für Spekulationen.
Es kam, was kommen musste: ein Gerichtsverfahren, viel Öffentlichkeit – und ein Urteil, das einschlug wie ein Vorschlaghammer.
Während vier mutmaßliche Betrüger Haftstrafen erhielten, ging die eigentliche Käuferin leer aus. Sie hatte zwar bezahlt, aber weder die Wohnung noch eine Rückerstattung erhalten. Das Gericht war der Ansicht, sie könne ja separat klagen, um ihr Geld wiederzubekommen.
Doch Dolina? Die bekam ihre Wohnung zurück. Einfach so. Ohne einen Rubel zurückzuzahlen. Das Urteil löste einen Sturm der Empörung aus. Schnell kursierte das Gerücht, jemand ganz oben hätte still und heimlich die Finger im Spiel gehabt – ein Verdacht, der nie bewiesen wurde, aber sich rasant verselbstständigte.
Statt die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen, richtete sich der Zorn auf eine einzige Frau. Konzerttickets wurden massenhaft zurückgegeben. Clubs, Restaurants und Veranstalter strichen ihre Auftritte. Sogar aus einem neuen Film sollte sie angeblich herausgeschnitten werden. Ein Edelrestaurant, das sie an Silvester auftreten lassen wollte, änderte Hals über Kopf sein Programm. Statt Dolina spielten nun ein Streichquartett und eine Coverband. Die Botschaft war unmissverständlich. Der Fall wurde so groß, dass selbst Abgeordnete aktiv wurden. Plötzlich standen Gesetzesänderungen im Raum – etwa eine Sperrfrist für Immobilienkäufe, damit Geschäfte im Verdachtsfall rückgängig gemacht werden können. Juristen warnten schon vor einem "Dolina-Effekt“: der Angst, eine Immobilie zu kaufen und sie anschließend wieder abgeben zu müssen, weil ein Gericht den alten Besitzern Recht gibt.
Doch die Experten sehen noch etwas anderes: Der Fall wurde zu einem Symbol. Dolina wurde zur Projektionsfläche einer müden, frustrierten russischen Gesellschaft – einer Gesellschaft, die unzufrieden ist, aber kaum offene Kritik an der Regierung riskieren kann. Der Politologe Iwan Preobraschenski bringt es auf den Punkt: Man beschimpft nicht das System, sondern den Menschen, an dem man es sich gefahrlos abarbeiten kann.