[Kommentar] Ein paar kritische Gedanken zum “flagship killer” Oneplus 5



Nach langem Warten und zahlreichen Leaks ist das Oneplus 5 gestern endlich vorgestellt worden. Trotz High-End-Hardware gibt es ein paar Punkte, die ich nicht ganz so optimal finde.

Ist das wirklich ein “flagship-killer”?

Den Begriff flagship-killer hat sich Oneplus mit der ersten Generation des Smartphones absolut verdient – wie man bereits Wochen im Voraus den Hype um das Oneplus One mit häppchenweisen Details und denkwürdigen Aktionen angeheizt hatte gehört eigentlich in jedes Lehrbuch für virales Marketing. Essential kam dem mit dem PH-1 kürzlich nicht mal ansatzweise nahe, obwohl man mit Andy Rubin zumindest schonmal ein bekanntes Gesicht aufweisen konnte. Sicher war das Oneplus One nicht perfekt, aber die Kombination aus High-End-Hardware, einem auffällig niedrigen Preis und dem umstrittenen Invite-System sorgten für Aufregung in der Tech-Welt und mit 1.5 Millionen verkauften Exemplaren scheint es erfolgreicher gewesen zu sein, als die beiden Google Pixel-Modelle zusammengenommen.

Heute, drei Jahre später, ist die Ausgangsposition eine etwas andere. Unternehmen wie Xiaomi, Honor, ZTE oder Meizu drängen zwar nur schrittweise auch auf westliche Märkte, sind aber in der Tech-Presse mittlerweile wesentlich präsenter. Wer hier auf dem Blog häufiger die Smartphone-Neuvorstellungen der genannten Unternehmen verfolgt, weiß, dass man auch anderswo viel Smartphone für wenig Geld bekommen kann (bestes Beispiel ist mal wieder das aktuelle Xiaomi Mi6) – auch wenn Deutschland mit LTE Band 20 oft dumm da steht.

Und Oneplus ist erwachsen geworden, hat sich von der Partnerschaft mit Cyanogen emanzipiert, eine treue Fanbase aufgebaut und immer wieder solide Smartphones nachgelegt. Das Oneplus 5 ist die Spitze dieser Entwicklung, aber auch wenn kein Artikel über das Smartphone ohne diesen Begriff auszukommen scheint (unsere mit eingeschlossen): Es ist kein flagship-killer mehr, sondern einfach nur noch ein flagship.

Für die kleinste Variante des Oneplus 5 zahlt man 499 Euro.

Das liegt einerseits am Preis: Ob es nun auf Druck von Oppo war, die letztlich hinter Oneplus stehen, die Hardware teurer geworden ist, oder man mittlerweile einfach anders skaliert – mit dem Oneplus 5 hat man preislich einen weiteren Schritt auf die anderen Hersteller zugemacht. Ja, mit einer UVP von minimal 499 Euro liegt man noch immer deutlich unter einigen Google-, Apple- und Samsung-Flaggschiffen, aber der Abstand schrumpft weiter. Alle Vergleiche mit anderen Android-OEMs mal beiseite sind 500 Euro außerdem für viele Leute nicht eben wenig Geld und das Oneplus 5 für die breite Masse sicher nicht mehr ganz so interessant, wie es das rund 300 Euro teure Oneplus One damals war.

Andererseits hat sich Oneplus auch optisch dem Mainstream-Smartphone angenähert und bietet zwar zahlreiches Zubehör an, aber hat am Ende dann doch “nur” ein weiteres Smartphone im Aluminium-Unibody inklusive Antennenstreifen und frontseitigem Fingerabdruckscanner vorgestellt. Dash-Charge ist noch immer klasse, aber eine Dual-Cam, mehr RAM als man in den nächsten Jahren brauchen wird und ein USB Typ C-Port(leider nur USB 2.0 btw)…bekommt man auch anderswo. DAS ultimative Alleinstellungsmerkmal sucht man vergebens, im Jahr 2017 ist das aber auch nicht mehr so einfach.

Oneplus schwärmt insbesondere von der neuen Dual-Cam. Ob zurecht, wird sich noch zeigen.

Dünner geht immer, aber warum nicht mehr Akku?

Ein Kritikpunkt der sich schon kurz nach der Präsentation aufdrängte: In der fünften Generation ist das Smartphone wieder eine Ecke dünner geworden, der Aluminium-Unibody misst nun nur noch 7.25 Millimeter in der Tiefe. Dafür steht die Kamera abermals aus dem Gehäuse hervor und ein Akku mit mehr als 3300mAh war so scheinbar auch nicht drin. Sicher ist das Meckern auf hohem Niveau, aber bei der ersten Oneplus-Generation hatte man das gestrige “Focus on what matters”-Mantra in dieser Hinsicht besser umgesetzt und das Smartphone einfach ein wenig dicker gemacht, damit die Kamera bündig mit der Rückseite abschließt und ein bisschen mehr Akku reingeht.

7-25 Millimeter dünn ist das Oneplus 5 – dafür steht die Kamera wieder leicht hervor.

So liegt das Smartphone nun nicht plan auf dem Tisch und das empfindliche Glas vor der Kamera wird auf lange Sicht vermutlich ebenfalls mitgenommen werden, solange man nicht eine der zahlreichen Hüllen verwendet. Um die Laufzeit werden wir uns wohl keine Gedanken machen müssen: Der Snapdragon 835 ist im 10 Nanometer FinFET-Verfahren gefertigt und abermals deutlich energieeffizeinter als der Vorgänger im 3T und das 5.5 Zoll Optic AMOLED-Display löst “nur” in Full HD auf. Letzteres mag für VR-Anwendungen doof sein, sorgt aber sicher mit dafür, dass man tatsächlich “a days power in half an hour” erreichen kann, indem man das Oneplus 5 innerhalb einer halben Stunden von 0 auf 50 Prozent bekommt. Ob 50 Prozent wirklich über den ganzen Tag reichen, hängt letztlich wohl stark von der persönlichen Nutzungsweise ab.

Dennoch: Niemand hätte es Oneplus (oder irgendeinem anderen Hersteller) übel genommen, ein minimal dickeres Smartphone mit spürbar mehr Akku vorzustellen. Oder sieht das jemand anders – interessiert euch auf den Millimeter genau, wie dünn euer Smartphone ist?

Come on, schon wieder bei den Benchmarks schummeln?

“Focus on what matters” scheint bei Oneplus auch Benchmarks zu beinhalten, auch wenn wir uns einig sein dürften, dass kaum etwas weniger bedeutsam ist als die Ergebnisse eines synthetischen Performance-Benchmarks. Andere Hersteller sind hier ebenfalls nicht unschuldig, aber auch dass Oneplus 5 scheint wieder einmal in entsprechenden Apps noch ein wenig mehr aus dem SoC rausholen zu wollen, um in den Vergleichen besser dazustehen.

Co-Founder Carl Pei argumentiert auf Reddit zwar, dass der Performance-Boost in sämtlichen rechenintensiven Anwendungen, also beispielsweise auch Spielen, zum Einsatz kommt, doch bei den XDA-Developers ist man der Ansicht, man sei auf ein System gestoßen, das insbesondere auf Benchmarks abzielt – und üblicherweise kann man denen in solchen Punkten vertrauen. In jedem Fall gibt aber absolut keinen Grund, den verbauten Qualcomm Snapdragon 835 noch besser dastehen zu lassen, denn das ist ohnehin einer der potentesten Mobile-Chipsätze derzeit.

Auch ohne Schummeln dürfte der Snapdragon 835 auch auf lange Sicht mit jeder Anwendung klar kommen.

Wie schon beim Akku und dem absurd dimensionierten Arbeitsspeicher finde ich das Motto “Focus on what matters”, unter dem das Launch-Event stand, deshalb etwas unpassend. Aber alle Kritik mal beiseite: Das Oneplus 5 ist ein großartiges flagship-Smartphone ohne erkennbare große Schwächen geworden. Ein flagship-killer halt nicht, das müssen andere übernehmen, aber wer sein Smartphone wegen des Hypes darum aussucht, setzt ja wohl ohnehin die falschen Prioritäten.

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