Libanons Regierungschef Diab kündigt vorgezogene Neuwahlen an


Demonstranten stürmen Außenministerium in Beirut

Angesichts der regierungskritischen Proteste nach der Explosionskatastrophe von Beirut hat der libanesische Regierungschef Hassan Diab vorgezogene Neuwahlen angekündigt. Nur so könne die Krise in dem Land überwunden werden, sagte Diab am Samstagabend in einer Fernsehansprache. Er werde seinem Kabinett daher am Montag Neuwahlen vorschlagen.

Zuvor hatten hunderte wütende Demonstranten das Außenministerium in Beirut gestürmt und zum “Hauptquartier der Revolution” ausgerufen. Tausende Menschen marschierten durch die libanesische Haupstadt, Demonstranten lieferten sich Zusammenstöße mit Sicherheitskräften, zahlreiche Menschen wurden verletzt.

“Wir rufen das gesamte gepeinigte libanesische Volk auf, auf die Straßen zu gehen und die Verfolgung der Korrupten einzufordern”, rief der ehemalige Offizier Sami Rammah über Megaphon von den Stufen des besetzten Außenministeriums aus. Der Protest richte sich nicht gegen bestimmte Personen, sondern gegen “ein System, das das Land zerstört hat”.

Rammah rief die Arabische Liga und die Vereinten Nationen auf, die “Revolution als die eigentlichen Vertreter des libanesischen Volkes anzusehen”. Tausende Beiruter gingen auf die zerstörten und mit Trümmern übersäten Straßen, um ihrer Wut auf die politische Elite Luft zu machen. “Rache, Rache bis zum Sturz des Regimes”, skandierten sie. Viele Demonstranten hielten Flaggen oder Fotos von Unglücksopfern in die Höhe.

Nach Angaben des Roten Kreuzes wurden bei Zusammenstößen am Rade der Demonstration mehr als 140 Menschen verletzt, 32 von ihnen mussten ins Krankenhaus gebracht werden.

Vereinzelt schwenkten Protestierende auch Schlingen, auf dem Märtyrer-Platz im Zentrum von Beirut waren bereits am Freitag hölzerne Guillotinen errichtet worden. Protestaufrufe in Onlinenetzwerken wurden mit dem Hashtag #HängtSie versehen. Sicherheitskräfte versuchten die Demonstranten auf dem Weg zum Parlamentsgebäude zurückzudrängen, die Polizei setzte Tränengas gegen Steinewerfer ein.

Viele Libanesen, die der politischen Elite schon seit langem Korruption und Unfähigkeit vorwerfen, machen die Regierung für die verheerenden Explosionen am Dienstag mit mehr als 150 Todesopfern verantwortlich. Der Libanon steckt schon seit Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Währungskrise, die durch die Corona-Pandemie noch verschärft wurde.

“Wir können es nicht mehr ertragen. Wir werden als Geiseln gehalten, wir können das Land nicht verlassen, wir können unser Geld nicht von den Banken abheben. Die Menschen hungern, es gibt mehr als zwei Millionen Arbeitslose”, beklagte die Demonstrantin Médéa Azoury. “Und jetzt ist Beirut durch Fahrlässigkeit und Korruption vollständig zerstört worden.”

Am Dienstag hatten zwei gewaltige Explosionen den Hafen von Beirut erschüttert. Nach Regierungsangaben waren 2750 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert, die jahrelang ungesichert in einer Halle im Hafen lagerten. Die Ursache der Explosionen ist noch unklar. 21 mutmaßliche Verantwortliche wurden festgenommen.

Die Zahl der Todesopfer der Explosionen stieg am Samstag nach Angaben des Gesundheitsministeriums auf 158, die der Verletzten auf mehr als 6000. 21 Menschen werden demnach noch vermisst.

Am Sonntag findet eine internationale Geberkonferenz für den Libanon statt. Dabei sollen Spenden für die humanitäre Nothilfe in dem ehemaligen Bürgerkriegsland gesammelt werden. An der Vidokonferenz teilnehmen werden unter anderem US-Präsident Donald Trump, EU-Ratspräsident Charles Michel und der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe, Janez Lenarcic. Das Deutsche Rote Kreuz schickte am Samstag ein Flugzeug mit 43 Tonnen Hilfsgütern nach Beirut.

by Von Layal Abou Rahal und Tony Gamal-Gabriel

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