Kommentar: Warum Google die Android-Fragmentierung so bald nicht in den Griff bekommen wird



Die Zeit, in der die Leute auf einer eigens dafür eingereichten Seite Vorschläge einreichen können, wie die nächste Android-Version heißen soll, ist abgelaufen. Die Bedingungen waren klar: Eine Süßigkeit, die mit dem Buchstaben N anfängt. In ein paar Wochen wird man den Namen verkünden, lässt man nun über den offiziellen Twitter-Channel verlauten, und ein weiteres Mal überschlägt sich die Berichterstattung der Tech-Presse vor Spekulationen, ob nun “Nougat“, „New York Cheesecake“, oder doch „Nutella“ das Rennen machen werden.

Lassen wir mal beiseite, dass man sich so viel Aufmerksamkeit mal für das ein oder andere Feature der jeweils neuen Version wünschen würde. Als Interessierte, die sich viel Smartphones, Tablets und mobilen Betriebssystemen auseinandersetzen, tendieren viele dazu zu vergessen, wie wenig „Außenstehende“ selbst über so offensichtliche Punkte wie die Namensgebung wissen. Und Außenstehende meint nicht Smartphone-Verweigerer oder iOS-Nutzer, sondern auch Leute die Android aktiv einsetzen, manchmal schon seit Jahren, sich aber eben nicht auf Blogs wie diesem hier herumtreiben.

Das ewige Problem der Fragmentierung:

Auch jetzt, zehn Monate nach dem offiziellen Release, läuft die noch aktuelle Android-Version 6.0 „Marshmallow“ auf nuretwa 10% aller Geräte, die im Play Store aktiv sind. Nicht einmal die Hälfte aller Smartphones und Tablets setzen auf einem API-Level von 21 oder höher auf, was für Entwickler einen nicht unbeträchtlichen Aufwand bedeutet, neue Funktionen auch für ältere API-Level zur Verfügung zu stellen.

Android Dev DashboardSolche Zahlen und Aussagen kommen euch bekannt vor? Wahrscheinlich, denn die Sau der deutlichen Fragmentierung, wird nahezu monatlich durch das Techblog-Dorf getrieben. Diese Berichterstattung wird sich ebenso wie die eigentliche Problematik so bald nicht ändern, denn es gibt einige massive Probleme auf allen Seiten.

Die offensichtlicheren Gründe

Beginnen wir mit den bereits bekannten Problemen. Kaum ist die neue Version angekündigt beginnt die Fragerei nach den Updates für jedes Modell, Hersteller veröffentlichen Listen und nennen Zeitpläne. Mit jeder neuen Version werden einige Geräte nicht mehr unterstützt, andere bekommen das Update erst nach einigen Monaten. Und weiterhin werden unzählige neue Geräte vorgestellt, die noch auf die alte Version setzen, wie jüngst das ZTE Nubia Z11 Max, das auch im Juni 2016 noch auf Android 5.1 Lollipop setzt – über acht Monate nach der Veröffentlichung von Marshmallow.

Jeder Hersteller hat seine eigene Vorstellung, wie Android aussehen sollte. In der Praxis hat das OS dann auch so viele Gesichter, dass man sehr schnell den Überblick verliert. Dazu kommen Custom Roms und Launcher, die es weiter erschweren ein einziges OS hinter den vielen Aufsätzen zu vermuten. Diese Vielfalt ist gut, keine Frage, verzögert aber auch das Ausrollen von teilweise sicherheitsrelevanten Software-Aktualisierungen oder neuen Funktionen. Hinzu kommen noch die Provider, die durch ihre Anpassungen Updates ebenfalls gerne um Wochen und Monate verzögern.

Auch problematisch: Die lange Lebenszeit vieler Geräte. Zwei Jahre läuft ein Vertrag in der Regel, oft wird das Smartphone darüber hinaus noch genutzt, landet auf eBay oder in den Händen der eigenen Kinder oder jüngeren Geschwister. Das ist gut, spart es doch Ressourcen und Geld, bedeutet aber eben auch, dass sich das Feld der im Umlauf befindlichen Android-Versionen weiter entzerrt.

Das eigentliche Problem

Doch halt! Uns mag es so vorkommen, als würden die Hersteller mit Update-Anfragen geradezu bombardiert werden. Weil wir uns auf Tech-Blogs rumtreiben, die solche Update-Listen veröffentlichen und über neue Funktionen berichten, weil wir in den sozialen Netzwerken Leuten folgen, die ebenso wie wir eine technikaffine Ader besitzen und es augenscheinlich kaum abwarten können, die neuen Nexus-Geräte oder Cyanogenmod-Builds in die Finger zu bekommen, oder weil bei jedem Update unser Stream voll mit Leuten ist, die darüber berichten. Aber wie oben schon angedeutet: Nur einen Bruchteil der Leute interessiert das wirklich. Mehr noch, nur ein Bruchteil der Leute weiß überhaupt, wovon da die Rede ist.

Anfang der Woche wurde in einer Jeopardy-Ausgabe an die Kandidaten die Frage gestellt, wie das mobile Betriebssystem heißt, dessen sechste Version den Namen „Marshmallow“ trägt. Die Antworten waren ebenso vorhersehbar wie – zumindest aus meiner Perspektive – traurig. Eine der Kandidatinnen kannte wenigstens iOS, auch wenn das natürlich falsch ist. Ein weiterer Kandidat war sich offenbar nicht einmal sicher, was „eyeos“ denn sei. Bei anderen Fragen haben sich die Kandidaten nicht schlecht geschlagen, was die Frage aufwirft: Wieso kennt eigentlich keiner den Namen Android, obwohl das OS auf hunderten Millionen Geräten im Einsatz ist?

Was Google zur Lösung beitragen kann

Was Google dringend braucht, ist kein möglichst kreativer Name für Android N, sondern eine klare Strategie zur Stärkung der Marke „Android“. Nur so bekommt man die Fragmentierung dauerhaft in den Griff. Solange nur ein Bruchteil der Leute aus schlechter Update-Politik eines Herstellers oder Providers eine Lehre zieht oder bei einem Neukauf darauf achtet, dass das Wunschmodell eine halbwegs aktuelle Version einsetzt, wird sich das Problem nicht lösen. Für die Hersteller bedeutet Softwarepflege schließlich Mehrkosten, die man einsparen kann, wenn sich nur wenige beim Ausbleiben von Updates beschweren und sich deswegen beim nächsten Smartphone-Kauf – mit dem einzig relevanten Argument in diesem Zusammenhang: Geld –  für die Konkurrenz entscheiden. Allerdings beschwert sich niemand, wenn nur ein vernachlässigbar kleiner Prozentsatz überhaupt weiß, welches Betriebssystem – geschweige denn welche Version – auf seinem Smartphone zum Einsatz kommt.

Natürlich können wir weiter über die Namensgebung spekulieren, uns über jede neue Android-Version und ihre zahlreichen Features freuen, uns wie jeden Monat über die zunehmende Fragmentierung wundern – aber wir sollten dabei hin und wieder auch mal einen Schritt raus aus unserer Filter-Bubble machen und bedenken, dass wir nur einen Bruchteil aller Android-Nutzer darstellen. Den Rest interessiert es vielleicht einfach nicht groß und diese Problematik wird auch Google sobald nicht in den Griff bekommen. Doch sollten sie es angehen, egal wie.

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