Boris Johnson: Ein Irrer oder ein Genie?


Großbritanniens Enfant terrible

Ach ja, Boris Johnson (55). Nun hat er es also doch geschafft: Das Enfant terrible der britischen Politik wird Premierminister von Großbritannien. Ein Regierungschef, der zunächst einmal das vom Brexit gebeutelte Land teilt: Die einen halten ihn für ein Genie, die anderen – wohl die Mehrheit – schlichtweg für einen Irren.

Schurke oder Schlitzohr?

Der angesehene Londoner Journalist Sir Max Hastings (73) widerspiegelt mit seinen Urteilen über den designierten Premier die Zerrissenheit Englands. Einerseits attestiert er Johnson “Charme, Witz und Brillanz”, andererseits urteilte er noch vor Wochen: “Man kann darüber streiten, ob er ein Schurke ist oder nur ein Schlitzohr, jedenfalls ist er moralisch bankrott und hat für die Wahrheit nur Verachtung übrig. […] Er ist nicht geeignet für ein staatliches Amt, weil es scheint, dass er sich für nichts interessiert als seine eigene Berühmtheit und seinen eigenen Genuss.”

Hastings muss es wissen. Er war Herausgeber der Blätter “Evening Standard” und “Daily Telegraph”, für den Johnson als Kommentator unter anderem auch aus Brüssel berichtet hat. Ein Redakteur, der seine Texte redigierte, meint, es sei unmöglich, mit Johnson eine systematische Diskussion zu führen. Seine Arbeiten “kamen immer zu spät und man hatte keine Ahnung, über was er schreiben würde.” Habe man ihn vorab danach gefragt, habe er mit einem “Schwall von Grundlauten” geantwortet.

Brite und Amerikaner

Boris Johnson ist in New York CIty geboren und besaß neben der britischen auch die amerikanische Staatsangehörigkeit, die er übrigens erst 2016 ablegte. Darin begründen Freunde auch seine Nähe zu US-Präsident Donald Trump (73), der in Boris Johnson einen wahren Bruder im Geiste sehe.

Das mag ja durchaus sein, nur sind das wahre Leben des Boris Johnson und die Geschichte seiner Familie ungleich bunter und irrwitziger als die Chronik der Trumps. Allein sein voller Name Alexander Boris de Pfeffel Johnson hat jenen Klang, um den so viele Amerikaner das alte Europa beneiden. Er geht zurück auf die deutschen Ururur-Großeltern Adelheid Pauline Karoline von Rottenburg (1805-1872), eine uneheliche Tochter von Prinz Paul von Württemberg (1785-1852), und Ehefrau von Karl Maximilian Freiherr von Pfeffel (1811-1890). Insofern ist Johnson über das Königshaus Württemberg sogar weitläufig mit Queen Elizabeth II. (93) und dem britischen Thronfolger Prinz Charles (70) verwandt.

Andererseits hat er auch türkische Vorfahren. Sein Urgroßvater Ali Kemal war 1919 kurz Innenminister des Osmanischen Reiches und wurde 1922 von einem Mob gelyncht. Dessen Sohn Osman Ali floh daraufhin nach London und nahm den Namen “Wilfred Johnson” an – der Großvater von Boris Johnson.

Das Geld war da

Er wurde in die Upper Class hineingeboren. Sein Vater Stanley, ein extrovertierter Kosmopolit, der in New York Volkswirtschaftslehre studiert, die Mutter Charlotte, eine Künstlerin. Vater Stanley wird 1979 Abgeordneter der konservativen Partei im Europäischen Parlament, die Familie zieht nach Brüssel, wo der kleine Boris die Europäische Schule besucht.

Zurück in England folgen die typischen Ausbildungsstationen der Upper Class: Besuch der berühmten Bildungsstätte Eton, dann Gap Year in einem australischen Elite-Internat, schließlich Studium der klassischen Altertumswissenschaften in Oxford, wo er Freunde fürs Leben kennenlernt – unter anderem den jüngeren Bruder von Prinzessin Diana (1961-1997), Charles, 9. Earl Spencer (55).

Boris Johnson macht als Journalist Karriere, wird Kommentator und Brüssel-Korrespondent des “Daily Telegraph”, dann Herausgeber des konservativen “Spectator”. Er engagiert sich bei den Tories, seine Sprunghaftigkeit und Unberechenbarkeit machen ihn auch politisch populär, er wird Bürgermeister von London (2008-2016). Einige seiner gedanklichen “Glanzpunkte” aus dieser Zeit sind heute noch Legende. Als ihn beispielsweise ein Taxifahrer wegen seiner vermeintlich mangelnden Unterstützung gegen den Chauffeurdienst Uber anrempelt, pöbelt Johnson zurück: “Verpiss dich – und stirb!”

Johnson will den völlig überlasteten Flughafen von Heathrow ersetzen – mit einem Airport auf einer in der Themsemündung künstlich aufgeschütteten Insel: “Boris Island”. Kosten: 60 Milliarden Pfund. Es bleibt bei der Idee. Die Kämpfer der Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) nennt er sexuell frustriert. Die Islamisten hätten keinen Erfolg bei Frauen und seien Verlierer-Typen. Sie seien “schlimme Onanisten”, die süchtig nach Pornofilmen wären. Für seine Tory-Partei wirbt Johnson unterdessen mit dem Versprechen: “Wenn Sie die Konservativen wählen, bekommt Ihre Frau größere Brüste und Sie haben bessere Chancen auf einen BMW M3.”

Alles nur Erbsache?

Freunde behaupten, sein sprunghafter Charakter sei nichts anderes als ein genetisches Erbe. Vater Stanley Johnson ist eigentlich als “Remainer” durch Großbritannien gezogen. Er war Umweltschützer, ging in den britischen Ableger des Dschungelcamps und wollte den Brexit, den sein Sohn immerhin mit initiiert hat, auf jeden Fall verhindern. Heute hält der Herr Papa ein Schild hoch: “Ich unterstütze Boris.”

Der jüngere Bruder, Jo Johnson, war für die Tories Staatssekretär im Verkehrsministerium. Er trat zurück, wollte den Brexit absagen und für ein weiteres Referendum werben. Doch dann trommelte er – zwar sanftmütiger und gelassener – für Boris im Wahlkampf. Es heißt, er könne Minister unter seinem Bruder werden.

Die Schwester, Rachel Johnson, scheint die gute Fee der Familie zu sein. Sie ist eine angesehene Journalistin und Romanautorin – und als ihr großer Bruder einmal über Migranten herzog und behauptete, in manchen Gegenden Englands sei Englisch nicht mehr die erste Sprache, was die Waliser mächtig empörte, twitterte sie belustigt: “Wir haben zu Hause Altgriechisch gesprochen.”

Auch Bruder Leo Johnson hebt sich ab. Vor Jahren gab er bekannt: “Ich bin nicht blond. Ich bin kein Tory. Ich wurde ohne das Gen für Selbstdarstellung geboren.” Leo moderiert eine bekannte Radiosendung und twitterte, als sich Boris über Burka-Trägerinnen lustig machte: “Es wäre gut, wenn diese Runde wetteifernder religiöser Intoleranz enden würde.” Er ist mit einer Afghanin verheiratet.

Der “Sextator”

Ebenso berühmt wie seine blonde Sturmfrisur sind die Eskapaden von Boris Johnson. Die Briten gaben ihm deswegen den Spitznamen “Sextator”, als er noch Herausgeber des “Spectator” war. Die “Neue Zürcher Zeitung” (NZZ) schreibt über ihn: “Die Familie kam freilich immer zu kurz. Seine erste Frau lief ihm davon, als Johnson 25 Jahre alt war. Von ihr heißt es, dass sie einmal in der Redaktion des ‘Daily Telegraph’ anrufen musste, um in Erfahrung zu bringen, in welcher europäischen Hauptstadt sich Johnson gerade aufhielt.”

Mit der zweiten Frau, der Rechtsanwältin Marina Wheeler (55), hat Johnson vier erwachsene Kinder. Sie hat ihm selbst seine zahlreichen Eskapaden, aus denen angeblich mindestens ein weiteres, uneheliches Kind hervorgegangen sein soll, verziehen. Erst als sie letztes Jahr von seiner Beziehung zu Carrie Symonds (31) erfuhr, einer PR-Spezialistin, kam es zur Trennung. Die Scheidung steht bevor, weil Johnson, wie die “NZZ” berichtet, “mit der um 23 Jahre jüngeren Freundin in die Amtswohnung des Premierministers an der Downing Street einziehen” möchte.

Es heißt auch, dass Symonds großen Einfluss auf Johnsons Verjüngungskur habe. Jedenfalls ist sein wirrer Schopf einer überwiegend ordentlichen Frisur gewichen, durch eine Diät und den Verzicht auf Alkohol soll er abgenommen haben.

“Geh verdammt noch mal von meinem Laptop weg!”

Falls der “Bozzie Bear”, wie sie ihn in besseren Tagen genannt haben soll, bei Carrie Symonds noch einen Stein im Brett hat. Am 25. Juni kam es im Haus des Paares zu einem Polizeieinsatz, weil ein besorgter Nachbar die Beamten um Hilfe gerufen hatte. Aus der Wohnung von Carrie Symonds, bei der Johnson eingezogen ist, habe er lauten Krach und Schreie gehört. Der gute Mann hat eine Tonaufnahme von dem Streit gemacht und sie dem “Guardian” zugespielt.

Es sei zu hören, so berichtet die Zeitung, wie Johnson sich weigere, das Apartment seiner Freundin zu verlassen, obwohl diese ihn mehrfach dazu aufgefordert habe. “Geh verdammt noch mal von meinem Laptop weg!”, soll Symonds ihn anschreien. Danach soll ein Krachen zu hören sein, Symonds soll Johnson erneut anschreien, weil er Rotwein auf ihr Sofa verschüttet haben soll. “Dir ist alles egal, du bist so verwöhnt. Dich kümmert weder Geld noch sonst was! Raus hier! Verlass meine Wohnung!”

Boris Johnson soll in seiner Nachbarschaft nicht sonderlich beliebt sein. Anwohner des Londoner Stadtteils Camberwell sollen unter anderem auch gegenüber von Johnsons neuer Bleibe Poster plakatiert haben, auf denen unter seinem Bild, umrahmt von Europa-Sternen, in Blockbuchstaben steht: “Wir würden ihn eher als unseren Nachbarn ertragen als als unseren Premier.” So wie es aussieht, zieht Boris Johnson bald um – in die 10 Downing Street.

(ln/spot)

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