Test/Review: Huawei P9 – Auf Augenhöhe durch Leica


Das ist es also. Die Frucht der Zusammenarbeit von einem der größten Smartphonehersteller der Welt und einem deutschen Traditionsunternehmen. Schafft es Huawei mithilfe von Leica Handy-Kameras auf ein neues Level zu heben und dabei noch ein gutes Mobiltelefon auf den Markt zu bringen? Findet es in unserem Test heraus.

Vorwort

Smartphones sind alle gleich. In Zeiten in denen jeder eines besitzt oder besitzen möchte, reduzieren sich die Alleinstellungsmerkmale meist nur noch auf große Namen. Dass die meisten nicht mal wissen, was für ein Betriebssystem auf dem Mini-Computer in ihrer Tasche läuft, hat Simon mit seinem Kommentar zur Fragmentierung schon herausgestellt.
Um sich im Dschungel zurecht zu finden, orientiert sich der unwissende Smartphone-Käufer an großen Namen und charakteristischen Logos. Oftmals landet er dann bei einem Samsung-, Apple- oder LG-Gerät. Doch erfolgreiche chinesische Marken wie Huawei, Honor, Oppo oder Meizu erschleichen sich immer mehr Marktanteile. Allen voran Huawei und seine Untermarke Honor, sind seit Jahren auf dem Vormarsch und schaffen es mit überzeugenden Verarbeitungsqualität und einer aggressiven Preispolitik immer öfter in die Hände der Deutschen.

Das Huawei P9 ist dabei das diesjährige Flaggschiff und wirbt groß mit einer Kooperation mit Leica, welches weltweit bekannt für Fotokameras und Linsensysteme ist.Doch handelt es sich bei dem Leica-Branding nur um schlichtes Name-Dropping oder hat der Big-Player aus Fernost tatsächlich die Smartphone-Fotografie auf ein neues Level gehoben?

Zunächst einmal die nackten Specs.

Technische Daten:

  • Display: 5,2 Zoll FHD NEO-IPS-LCD mit einer Auflösung von 1920×1080 Pixeln (423 PPI)
  • Gehäusematerial: Vorderseite aus Glass. Gefräster Alurahmen und metallische Rückseite
  • Prozessor: HUAWEI HiSilicon Kirin 955 64-bit octa-core, 4 x 2,5 GHz Cortex-A72 & 4 x 1,8 GHz Cortex-A53
  • GPU: Mali T880 MP4
  • Speicher: 32GB ROM
  • RAM: 3GB LPDDR3
  • Kamera: Haupt: 12 MP Leica Dual-Kamera mit dual BSI CMOS Sensoren, ƒ2.2
  • Kamera: Front: 8 MP, ƒ2.4)
  • Netze: 4G LTE / VoLTE 600MBps
  • Konnektivität: A-GPS, Bluetooth 4.1, Wi-Fi 802.11 a/b/g/n/ac, Dual-band, Wi-Fi Direct, DLNA, Hotspot, WiFi Display
  • Anschluss: Micro-USB Type-C 1.0
  • Akku: 3.000 mAh
  • OS: Android 6.0.1 mit EMUI 4.1
  • Abmessung: 145 x 70.9 x 6,95 mm
  • Gewicht: 144 g
  • Preis: 450 – 480€

Verpackung und Lieferumfang

In reinem weiß kommt die Verpackung daher. Äußerlich wird natürlich das Leica-Logo gezielt aber dennoch dezent positioniert. Im Inneren geht es genauso weiß weiter. Alles wirkt sehr aufgeräumt. Zubehör und Verpackungsbeilagen sind in kleinen Boxen untergebracht. Schlicht, aber schön.

Eine kleine Enttäuschung gibt es jedoch beim Zubehör. Der Standard wird beigelegt, allerdings vermisst man als Kenner der chinesischen Service- und Verpackungskultur kleine Beilagen wie einen Bumper und/oder Displayschutzfolien.

Dementsprechend ist nichts außergewöhnliches im Lieferumfang. Neben dem EU-Ladestecker samt USB-Typ-C Datenkabel, sowie diverse Anleitungen und den Pin zum Öffnen des SIM-Slots, findet man noch ein paar In-ear-Kopfhörer, die aus der selben Fabrik zu stammen scheinen, in der Apple seine EarPods produziert. Soweit, so Standard.

Design und Verarbeitung

Was dagegen nicht enttäuscht ist die Verarbeitung und das Design. Wer das unscheinbare und flache Huawei P9 zum ersten mal aus der Verpackung nimmt, traut seinen Augen und Händen nicht. Alles wirkt wie aus einem Guss. Die Front besticht durch ein 2,5D-Glas, dass perfekt in das Gehäuse eingefasst ist. Leider ist auch hier wieder ein kleiner schwarzer Rand um das Display. Bei der weißen Variante ist dies besonders auffällig. Frecherweise ist dieser auf den Produktbildern nicht zu sehen und suggeriert damit eine bessere Display-to-Body-Ratio.

Das Logo auf der Unterseite wirkt dezent und edel. Die horizontalen Streifen in den Bereichen über und unter dem Display verleihen dem P9 einen materialistisch-soliden Eindruck, der ein leichtes Retro-Feeling aufkommen lässt. Unterschwellig dachte ich immer wieder ein metallische Häuserfassaden oder schwere Rolltore. Als optisches Alleinstellungsmerkmal funktioniert es auf jeden Fall und unterstreicht die zeitlose Charakteristik des Leica-Designs.

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Zur Veredelung wurden die Kanten des Alurahmens angefräßt und lassen es bei Lichtaufprall leicht glitzern. Zudem liegt es so besser in der Hand. Die Kanten sind zwar vorhanden, aber klein genug, um sich in die Handfläche zu schmiegen.
Dabei hilft auch die Größe. Im Vergleich zu meinem aktuellen Moto X Style wirkt das P9 regelrecht klein und fragil. Die 5,2 Zoll sollte man aber trotzdem nicht unterschätzen. Nicht umsont bietet Huawei auch einen EinHand-Modus an.

Auf der Oberseite befindet sich nur eine kleine Mikrofonöffnung. Die linke Seite bietet ebenso nur eine Öffnung für SIM- bzw. SD-Karte. Die Lautstärkewippe und der On-Knopf wurden rechts in der oberen Hälfte platziert und machen einen sehr guten Eindruck. Insbesondere der An-Knopf überzeugt durch seine extra Aussparung im Gehäuse und der geriffelten Oberfläche, welchen eine deutliche Unterscheidung beim blinden Drücken garantieren. USB-Typ-C-Anschluss zum Laden und Datenübertragung findet sich mitsamt dem Lautsprecher, dem 3,5 mm Klinkenstecker und noch einem Mikrofonloch auf der Unterseite. Zwei kleine Schrauben halten alles zusammen.

Die komplett in Aluminium gehaltene Rückseite beherbergt unten noch einmal den Huawei-Schriftzug. Der quadratische Fingerprint-Sensor ist oben-mittig platziert und hat eine ebenso glänzenden Ausfräßung wie die bereits erwähnten Kanten. Die Dual-Kamera, Dual-LED-Blitz und Laserfokus sind nebeneinander angeordnet. Rechts daneben folgt der Leica-Schriftzug mit entsprechenden Informationen darunter. Alles ist in dem selben Plastik mit horizontalen Streifen wie auf der Vorderseite eingefasst. Die Rückseite wirkt aufgeräumt, aber dennoch ein bisschen überladen. Die große freie Fläche kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier zwei Logos platziert sind. Immerhin steht die Kamera nicht aus dem Gehäuse hervor. Das P9 kann also flach auf den Tisch gelegt werden ohne zu wippen oder zu zerkratzen.

Design- und verarbeitungstechnisch hat Huawei also ganze Arbeit geleistet. Das P9 ist ein Highend-Smartphone durch und durch und überzeugt mit einem eleganten Design, dass durch sein Aluminiumgehäuse einen sehr edlen Eindruck vermittelt. Die horizontalen Streifen sorgen für das nötige Alleinstellungsmerkmal und ein gewisses Retro- bzw. materialistisches Feeling. Verarbeitungsmängel sucht man vergebens. Ein derart sauber produziertes Gerät findet man sonst nur bei Apple, Xiaomi oder Oppo.

Hardware und Performance

Im Inneren werkelt der hauseigene und deshalb nicht so leicht zu durchschauende HiSilicon Kirin 955 Octacore-Prozessor. Im alltäglichen Gebrauch sind keine Leistungseinbußen zu beobachten. Das Starten und Aufrufen von unzähligen Apps klappt einwandfrei. Zu keinem Zeitpunkt geriet das P9 ins Stocken. Lediglich die Hitzeentwicklung ist etwas unangenehm. Das Metallgehäuse saugt bei direkter Sonnenbestrahlung regelrecht die Wärme auf. Muss das P9 dann noch zusätzlich unter Last arbeiten und z.B. spiele darstellen oder die Fotos/Videos machen, wurde der silberne Metallziegel ziemlich warm. Nicht so heiß, dass man es nicht mehr anfassen konnte, aber dennoch so unangenehm, dass die Hände anfingen zu schwitzen. Leistungseinbußen waren bei direkter Nutzung nicht fest zu stellen. Ein AnTuTu-Benchmark-Test bei bei einem leicht warmen P9 offenbarte jedoch die sichtliche Reduzierung der Performance. Zu diesem Zeitpunkt landete es beim Stresstest mit 42258 Punkten nur auf Platz 27, während es sich im Normalfall mit fast 96.000 Punkten auf dem zehnten Rang platziert.

 Dank des Alluminium-Designs kühlt das Gerät aber im Schatten und bei Nichtbenutzung wieder relativ schnell ab.

Der Kirin-Prozessor bringt also keine gravierende Nachteile mit sich. Games laufen flüssig, Apps starten schnell und die 3 GB RAM reichen auch aus.
Spannend wäre zu sehen, wie sich der Prozessor bei einem 1440p scharfen Display schlägt. Das Full-HD-Panel bringt ihn jedenfalls nicht ins Schwitzen.

Display

Dieses macht einen sehr guten Eindruck. Auch die Möglichkeit die Farbtemperatur komplett individuell einzustellen ist lobenswert. Eine ausreichende Helligkeit bei Tageslicht und Sonneneinstrahlunger bietet das NEO-LCD-Display ebenfalls. Die Schwarzwerte sind nicht so gut wie bei einem AMOLED-Panel, aber trotzdem sehr dunkel. Die Farbwiedergabe ist natürlich und stimmig. Das Betrachten von Fotos und Videos macht Spaß.

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Lautsprecher und Sound

Der Mono-Speaker ist ebenfalls ordentlich. Natürlich kann man mit ihm keine Hausparty unterhalten, aber für den Medienkonsum ist er ausreichend laut. Bei der Sprachqualität gab es ebenso wenig zu meckern. Der Gesprächspartner ist klar und verständlich am anderen Ende zu hören.

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Akku

Starke 3.000 mAh hat Huawei in das dünne Metallgehäuse gepackt. Das reicht, um über den Tag zu kommen und dabei einige Fotos zu schießen oder zwischendurch ein wenig zu spielen. Über die Tagesmarke hinaus zu kommen, wird aber schwer bis unmöglich. Über Nacht muss der Stecker in die Schweinenase.
Leider ist keine Schnellladefunktion verbaut. Es gilt die Ladegeschwindigkeit von USB TYp-C 1.0, die euch das P9 trotzdem noch in etwas über 2 Stunden voll lädt.

Bedienung und Software

Out of the box läuft auf dem P9 Android 6.0 Marshmallow. Direkt nach dem ersten Blick in die Einstellungen wird ein 529 MB großes Update ausgeführt. Anschließend die Überraschung: Weder auf Android 6.0.1 noch auf die neuste Android-Sicherheitspatch-Ebene wird geupdatet. Letztere bleibt bei März 2016. Schade!

Doch zurück zum Start. Nach der kurzen Einrichtung gibt sich ein gewohntes Bild. Das Android-Skin von Huawei ist wie das Design des Gerätes – schlicht, elegant und inspiriert von Apple. Überwiegend in weiß gehalten, erfüllt es seinen Zweck und erinnert an den typischen Look chinesischer OEMs. Knallige aber sparsam eingesetzte Farbelementen lassen das UI ein wenig verspielt wirken. Dennoch macht die EMUI 4.1 Oberfläche einen erwachsenen Eindruck. Insbesondere das Pull-Down-Menü mit seinem dunklen Unschärfe-Stil weiß zu gefallen.

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Einen App-Drawer sucht man vergebens. Alle Apps werden auf den Homescreen platziert und bekommen ihr eigens quadratisches Symbol, dass mit abgerundeten Ecken etwas weicher wirkt. Das Material-Design wird dabei allerdings vernachlässigt. Lediglich die Symbole in den Quadraten behalten Googles Vorgabe noch bei.

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Individuelle Designs lassen sich ebenfalls herunterladen, weichen aber nicht sehr stark vom Standard ab. Wer es bunter oder schlichter mag, kann es sich anpassen.

Der Recent-App-Screen ist, vorsichtig gesagt, auch von iOS “inspiriert” und reagiert flott beim Beende von Anwendungen. Dennoch ist die Wischgeste nach oben nicht so intuitiv wie die seitliche Bewegung.
Die Software-Navigations-Tasten sind für meinen Geschmack etwas zu nah aneinander, lassen sich aber wenigstens seitenverkehrt anordnen. Trotzdem wäre etwas mehr Platz zwischen den Tasten wünschenswert gewesen. Schließlich drückt man diese sehr oft und möchte nicht immer aus Versehen zum Homescreen gelangen, anstatt nur zurück zu navigieren.

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Auch sehr oft kommt der Fingerabdruck-Sensor zum Einsatz. Diesen kann man zu Beginn einrichten und dabei mehrere Finger hinterlegen. Er reagiert wirklich schnell und funktioniert in 99% der Fälle beim ersten Versuch. Wenn der Finger nicht direkt erkannt wird, liegt es daran, dass man die eingebettete Fläche auf der Rückseite nicht richtig getroffen hat. Dies klappt aber nach ein wenig Übung jederzeit.

Fingerprint-Sensor Einrichtung

Doch auch hier fehlt ein Feature. Nach dem Entsperren wäre eine Hotkey-Funktion auf jeden Fall sinnvoll gewesen. Warum kann ich nicht die Kamera-App mit einem erneuten Scan starten? Die Navigation durch die Galerie oder das Klären der Notifications lässt sich schließlich auch mit dem Fingerprint-Scanner durchführen. Ich hoffe auf ein entsprechendes Software-Update, welches im gleich Zuge auch die Navigations-Buttons anpassbarer macht.

Weiterhin gibt es unter dem Punkt “intelligente Bedienung” nützliche Features. So lassen sich mit dem Fingerknöchel bei entsperrtem Display Gesten zeichnen, die dann eine Anwendung öffnen. Ein “S” ermöglicht z.B. das Aufnehmen von langen Screenshots. Bei Webseiten und längeren Bildern sehr praktisch. “e” startet direkt den Internetbrowser, ”m” die Musik.

Einfach Screenshots nimmt man mit einem doppelten Klopfen auf das Display auf. Letztendlich benutzt man diese Geste dann doch am meisten, da sie intuitiv und schnell auszuführen ist. Mit dem Knöchel zu Malen ist etwas umständlich und dauert zu lange. In der Zeit hat man die betreffende App schon zwei mal im Homescreen angetippt.

Besonders erwähnenswert ist auch der vereinfachte Startbildschirmstil. Auf Wunsch erhält dieser einen Kachel-Stil, der an den Big-Launcher oder Windows-Phone erinnert. Für Pragmantiker unter den Usern, welche die Smartphonewelt (z.B. Oma und Opa) erst kennenlernen wollen, ein super Feature. Selbst die erste Ebene der Einstellung passt sich dessen an.

 Bloatware

Erfreulicherweise verzichtet die weltweite Nummer 3 im Smartphoneverkauf auf unnötige Apps, abseits der Kundenbindung durch hauseigene Dienste wie hiCare (Service App für Updates, Garantiefälle und FAQs) oder hiVoice (Google Now). Dabei findet keine Doppelbelegung statt. Das heißt neben der Kalenderapp gibt es keinen zusätzlichen Version von Google. Einziger Wermutstropfen: Dienste wie Play Music oder Play Filme & Serien werden als Systemapps aufgeführt und lassen sich selbst bei Nichtbenutzung nicht deinstallieren.

Trotzdem gefällt der Ansatz der Entschlackung, der bei immer mehr Herstellern zu sehen ist und den Speicher des Telefons für wichtigere Sachen wie Fotos lässt.
Apropos Foto. Da war doch was…

Kamera

Nachdem die Marketing-Maschinerie sich mit Lobpreisungen nicht zurück halten und der tatsächliche Einfluss von Leica diskutiert wurde, ist der direkte Test umso spannender und soll hier ein besonderes Augenmerk bekommen. Deshalb wird dieser Testbereich nochmal in Unterpunkte unterteilt.

Kamera: Hardware

Wie bereits oben bei den technischen Daten zu lesen, verbaut Huawei eine Dual-Kamera mit jeweils12 MP dual BSI CMOS Sensoren und einer ƒ2.2 Blende. Im Gegensatz zu LG’s Herangehensweise an das Dual-Layout mit einer zusätzlichen Weitwinkel-Kamera, setzt das P9 auf einen unterstützenden monochromen Sensor, der differenzierte Bildinformationen wie Kontraste und Tiefenschärfe beisteuert.

Mit 1.25 µm pro Pixel liegen die Bildpunkte auf dem Sensor näher aneinander als bei Google (5X & 6P: 1.55µm) und Samusng (S7/Edge: 1.4 µm).
Dual-tone-flash und Laserfokus unterstützen Fotografie und Video hardwareseitig. Auf einen optischen Bildstabilisator wurde hingegen verzichtet.

An dieser Stelle sollte nochmal der reale Einfluss von Leica klar gestellt werden. Die eigentliche Hardware, d.h. Linsen, Sensoren und andere Komponenten, wurden extern im Auftrag von Huawei gefertigt und verbaut. Das Co-Engeneering bezieht sich auf die Konzeption und die genauen Parameter der Kamera. Die Leica-Expertise floss ihn den Entwicklungsprozess ein, um saubere Bilder in Bezug auf Farbewiedergabe, Weißabgleich, Kontrast und Streulicht zu erzielen. Beispielsweise wurden die Linsen berechnet und die Verarbeitung der Rohdaten mit entwickelt. Dazu dienten die von Leica gesetzten Standards, um dem hohen Qualitätsanspruch gerecht zu werden. Während sich die Hardware auf dem ersten Blick nur bedingt von der Konkurrenz absetzt, offenbart ein Blick auf die Kamera-App das wahre Ausmaß der Kollaboration.

Kamera: Software/Bedienung

Wer jemals eine Leica-Kamera in der Hand gehalten und ein paar Fotos gemacht hat, wird sich direkt zurecht finden. Die unverkennbare Designsprache der App könnte so auch direkt auf einer vollwertigen Leica laufen. Von den Symbolen über die Menü-Struktur bis hin zum Funktionsumfang, fühlt man sich sofort zuhause. Das UI wirkt sehr aufgeräumt und schlicht.Trotzdem lassen sich zu jeder Zeit entsprechende Einstellungsmöglichkeiten aufrufen, um tiefer in die Materie einzusteigen.

Ein Wisch von Links nach rechts öffnet diese jederzeit. Hier lassen sich Dinge wie die Bildqualität, Wasserzeichen, GPS-Tag oder Speicherort festlegen. Natürlich bietet das P9 RAW-Support und speichert Bilder auf Wunsch gleichzeitig im RAW- und JPEG-Format ab.
Ein Wisch von rechts links öffnet hingegen die unterschiedlichen Kamera-Modi. HDR, Monochrom, Panorama, Nachtaufnahme usw.. Für jede Situation gibt es bestimmte Voreinstellungen.

Diese kann man aber auch komplett ignorieren und den manuellen Modus aktivieren. „PRO-Modus“ genannt, wird dieser oberhalb des Auslösers freigeschaltet. Daraufhin öffnet sich eine Leiste, in der man händisch unterschiedliche Parameter verändern kann. ISO-Wert, Belichtungszeit, Kontrast, Weißabgleich etc. lassen sich direkt und live anpassen. Das Motiv wird man dabei nicht aus den Augen verlieren – Der View-Finder bleibt immer sichtbar. Jederzeit hat man kompletten Zugriff auf den Funktionsumfang der App. Dadurch gibt einem die Kamera-App das Gefühl der totalen Kontrolle, ohne dabei überladen oder aufdringlich zu wirken. Zwischen den Modi wechselt man selbst in stressigen Situationen, wie bei einem sich bewegendem Motiv, schnell und intuitiv.

Hier merkt man, dass das deutsche Traditionsunternehmen seit Jahrzehnten Highend-Kameras produziert. Alles wirkt wie aus einem Guss und ist extrem durchdacht. Selbst die schwarze Farbgebung der Menüs mit weißer Schrift ist auf den Einsatz bei Tageslicht abgestimmt, um eine bessere Lesbarkeit zu erzielen. Es sind diese Kleinigkeiten, die einem beim Fotografieren das Gefühl geben, ein extrem professionelles Produkt zu benutzen. Technische Hindernisse wurden weitestgehend eliminiert. Die reine Assistenz steht im Vordergrund.

Aber macht das P9 denn jetzt auch gute Fotos?

Bildqualität

Machen wir es kurz: Ja.

Die f/2.2 Blende ist zwar nicht auf Höhe der Konkurrenz, doch was zählt ist das Resultat und das wird mit dem Bildsensor auf jeden Fall sehr gut. Die feinen 1.25 µm pro Pixel sorgen für klare und scharfe Bilder. Die monochrome Kamera liefert essentielle Bildinformationen, weshalb das P9 mit einer unglaublichen Tiefenschärfe punkten kann. So etwas habe ich von einer Smartphonekamera noch nie gesehen. Details werden auf den verschiedenen Ebene sauber und scharf dargestellt.
Die Farbwiedergabe ist sehr natürlich und nicht übersättigt. Bei Tages-oder Sonnenlicht gelingt nahezu jedes Bild beim ersten Versuch perfekt.
Laserfokus und Dual-flash arbeiten zuverlässig und genau. Unten findet hier eine Galerie, die nur aus Schnappschüssen mit Automatik-Modus besteht.

Im Automatik-Modus übersteuert das P9 nur selten die Werte. Gefühlt hatte ich im Vergleich zur Konkurrenz, weniger über- oder unterbelichtete Bilder bei Schnappschüssen.
Üblicherweise hat auch Leica’s erste Smartphonekamera mit grellen roten Farben Probleme. Auch hier gehen Details verloren. Am Beispiel der roten Rose lässt sich dies gut erkennen. Trotz idealer Lichtverhältnisse gehen die Feinheiten auf den Blütenblättern verloren. Schade. In diesem Punkt hatte ich etwas mehr erwartet.

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Postiv überrascht hat mich hingegen die Handhabung der Farbe Weiß. In der Regel neigen unsere kleinen Taschencomputer dazu, weiße Objekte sehr strahlend darzustellen. Wie oben bereits erwähnt spart das P9 mit Farbverbesserungen und wählt eher einen natürlichen Blick auf die Welt. Beispielhaft dafür sind dieses mal die weißen Rosen. Sie strahlen nicht und selbst kleine Details auf den Blüten lassen sich erkennen.

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Im ersten Bild in der Garage mit wenig Licht, schafft es das P9 trotz absichtlicher Übersättigung meinerseits, noch viele Details einzufangen und das Weiß nicht gelblich wirken zu lassen. Zum Vergleich folgt direkt danach nochmal die ideal belichtete Version, in diesem low-light-Szenario. Die letzte Aufnahme zeigt den Grund für die gute Performance: Das monochrome Bild fängt dermaßen viele Details ein, dass selbst bei wenig Licht noch genügend Bilddaten vorhanden sind und der Algorithmus diese gut mit dem RGB-Bild verschmelzen lässt.

Eine Überraschung gibt es bei den Bildverbesserungen. Aufnahmen mit eingeschalteter HDR-Funktion haben kaum sichtbare Veränderungen. Insgesamt wird wenig beim Zusammenrechnen an den Farbeinstellungen gedreht. Die dezente Optimierung steht im Vordergrund. Knallige Farben findet man daher auch nicht mit HDR. Das kennt man anders von der Konkurrenz und lässt diesen Modus etwas in den Hintergrund rücken. Wer möchte, kann natürlich im Pro-Modus an den Einstellungen schrauben oder bei der späteren Bildbearbeitung am PC nachhelfen. Ich muss zugeben: Durch den Monochrom-Modus habe ich wieder meine Liebe zu Schwarz-Weiß-Bildern entdeckt.

Trotz des Leica-Kamerainterfaces und der überragenden Performance handelt es sich nur um eine Smartphone-Kamera – und diese hat auch ihre physikalischen Grenzen. Trifft zu wenig Licht auf den Sensor entsteht das altbekannte Bildrauschen. Bestimmte Bereiche werden unscharf, weil die Informationen fehlen. Nichtsdestotrotz kämpft das P9 sehr lange dagegen an und ist fast auf einer Stufe mit dem S7 oder dem G5. Selbst kurz vorm Sonnenuntergang schafft der kleine Sensor noch ein wirklich akzeptables Ergebnis. In den Beispielbildern war es nahezu komplett dunkel. Der letzte Rest Sonne war nur ganz leicht am Horizont zu erkennen. Auch bei dem zweiten Beispiel im Sonnenuntergang ist die Darstellung der Mauer mit den Graffiti noch überragend. Trotz wenig Licht, kaum Bildrauschen und viele Details, die lediglich durch die dunkle Farbgebung nicht ganz zu erkennen sind.

Ein echtes Heimspiel sind Motive mit hohem Kontrast. Wo es selbst nicht so guten Handykameras schon einfach fällt gute Bilder zu machen, übertrifft das P9 durch den zusätzlichen Sensor diese nochmal. In den Bildern ist der Detailgrad der Baumkronen einsame Spitze.

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Noch ein Wort zu den anderen Modi. Alle durchzuprobieren macht wirklich Spaß und es entstehen einige interessante Kunstwerke. Die Lichtmalerei mit den Lichtern von Windkraftwerken am Horizont war ebenso interessant wie die Schärfe nachträglich verändern zu können. Natürlich sollte man hier kein Ergebnis wie mit einer Spiegelreflexkamera und Lightroom erwarten, dennoch hat mich erneut die Tiefenschärfe und der Unschärfe-Effekt überrascht. Flott lässt sich der Fokus im Bild setzen und anschließend der Radius dessen verändern.

Die Selfie-Kamera liefert mit ihren 8 Megapixeln sehr solide Ergebnisse. Verschönerungseffekte lassen sich in 10 Stufen regulieren. Bei wurden mal wieder alle Sommersprossen entfernt ;)

Video

So stark die Fotofunktion auch sein mag, so ernüchternd ist das Testergebnis bei Videos. Das P9 in einer maximalen Auflösung von 1080p bei 60 Bildern pro Sekunde. Das ist okay, aber 4K-Aufnahmen sind heutzutage der Standard im Flaggschiffsegement. Zwar profitiert auch das Bewegtbild von der guten Kamera und den Leica-Standards in Form von ausgewogenen Farben und einem zuverlässigen Weißabgleich, doch wegen der fehlenden Bildstabilisierung gelingen Aufnahmen kaum ruckelfrei. Wer seinem Handy dagegen beim Filmen eine stabilen Stand gewährt, wird auch hier gute bis sehr gute Ergebnisse erzielen. Für den mobilen Gebrauch und das schnelle Video zwischendurch ist das P9 daher ungeeignet und erinnert an den Smartphonestandard von vor zwei Jahren, bei dem jedes mobile Video während eines Erdbebens geschossen wurde.

Fazit

Das P9 ist eine konsequente Weiterentwicklung des P8 – sowohl im technischen als auch im ästhetischen Sinne. Alles wirkt reifer und besser designt. Die Verarbeitungsqualität und charakteristische Designelemente wie die Streifenoptik auf der Front oder die glänzenden angefräßten Kanten, lassen das robuste und flache Aluminiumgehäuse extrem hochwertig wirken.
Äußerlich ist das P9 sexy, edel und mit einer zeitlosen Optik ausgestattet.
Doch auch die inneren Werte können größtenteils überzeugen. Der hauseigene Kirin-Prozessor verrichtet zuverlässig seine Arbeit und geriet beim Test nie ins Stocken. Einzig die Performance unter leichter Wärme, die in Verbindung mit dem Metallgehäuse häufiger vorkommt als gedacht, bereitet etwas Kopfzerbrechen. Während des Hochsommers im Schwimmbad ein anspruchsvolles Game zu spielen oder ständig Videos zu machen wird die Hardware an ihre Grenzen bringen.

Dass Huawei nun äußerlich endgültig den Absprung von Apple-Produkten geschafft hat, ist lobenswert. Für die Software gilt das leider noch nicht ganz. Zu viele Elemente des Android-Skins erinnern an den Tech-Giganten mit dem Apfel-Logo. Eigentlich bietet das Betriebssystem genug eigene Ideen, Lösungen und Funktionen – auch wenn noch Hausaufgaben hinsichtlich der Aktualität von Android und den Sicherheitspatches zu erledigen sind. Ich hoffe daher, dass bei einem Nachfolger ein noch größerer Schritt in die Unabhängigkeit gemacht wird.

Dabei helfen könnte auch Leica, die mit der Kamera-App schon einmal gezeigt haben welche äußerst positiven Richtung man mit Usability und gezielter Optimierung im Hinterkopf, einschlagen kann.

Doch nicht nur die App ist spitze. Leica hat in Zusammenarbeit mit Huawei eine sehr gutes Kamerasystem in das kleine Smartphone eingebaut, welche die richtigen Kompromisse unter Berücksichtigung der physikalischen Grenzen eingegangen ist. Der User bekommt dadurch eine durchdachte und unaufdringliche Fotofunktion, die Amateure und Profis gleichermaßen zufriedenstellen wird. Auch wenn der Einfluss des deutschen Unternehmens nicht ganz klar gewesen ist, so merkt man doch den Leica-Standard bei jeder Benutzung – die Videofunktion mal außen vor gelassen.

Das Smartphone-Business ist hart umkämpft. Huawei ist dabei ein globaler Player und verkauft sehr viele Geräte. Doch irgendwann braucht man eben einen “Namen”/ ein „Branding“, um in gewissen Märkten Eindruck zu hinterlassen und neue Märkte zu erschließen. Genau diesen Schritt hat chinesische Unternehmen nun gemacht.
Als ich das P9 dem Mann meiner Tante
bzw. einer befreundeten Fotografin zeigte und beide sofort was mit dem Leica-Schriftzug auf der Rückseite und der Kamera-App anfangen konnte, erschloss sich mir endgültig der Sinn dieser Partnerschaft. Dieser potenzielle Kunden kennen nur Samsung und Apple, sind aber gewillt fast 500€ für das Huawei P9 zu zahlen, weil sie der Marke Leica vertrauen.
Das wetzlarer Unternehmen generiert im Gegenzug noch mehr internationale Reichweite für sein Kamerageschäft.

Abschließend lässt sich festhalten, dass sich Huawei mithilfe von Leica endgültig in die Top-Riege der Smartphone-Hersteller katapultiert hat und den direkten Vergleich mit Apple oder Samsung nicht mehr zu scheuen braucht. Wenn einem alle Smartphones gleich vorkommen und nur noch die Kamera als herausragendes Alleinstellungsmerkmal gilt, dann hat Huawei mit dem P9 zu den Big-Playern aufgeschlossen.

Doch auch abseits dessen ist es für aktuell 450-480€ ein überzeugendes und schickes Gesamtpaket, das dem Benutzer im Alltag unaufdringlich unterstützt und viel Freude bereiten wird.

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