[Kommentar] Zubehör wird der nächste Walled Garden in der Smartphone-Landschaft


Nach den Apps und Services wird Zubehör eine entscheidende Rolle dabei spielen, Nutzer auf einer Plattform einzusperren. Apple hat das Walled Garden-Prinzip fast perfektioniert und andere ziehen nach.

Wireless Audio als Walled Garden

Als Walled Garden werden in der IT-Branche restriktiv ausgestaltete Plattformen bezeichnet, für die der Zugang beschränkt ist. Das wohl prominenteste Beispiel ist die iOS-Plattform, wo allein Apple darüber entscheiden kann, welche Anwendungen über den App Store auf die Smartphones und Tablets der Nutzer gelangen und wie sich diese monetarisieren lassen. Während Android es auch weiterhin unterstützt, Anwendungen als APK-Installationsdatei oder über alternative App-Stores (zum Beispiel bei Amazon, Samsung oder bald auch Huawei) zu beziehen, behält man in Cupertino die volle Kontrolle über das System.

Ähnliches bahnt sich derzeit auch beim Zubehör und insbesondere beim Thema Audio an. Nachdem Apple den 3.5 Millimeter-Klinkenanschluss zumindest bei den Smartphones gestrichen hat, scheint die naheliegende Antwort Bluetooth gewesen zu sein. Aber nicht direkt, denn Apple hat mit dem W1 einen SiP-Chip und ein Software Management-Layer vorgestellt, das zwar auf Bluetooth basiert, aber letztlich eine eigene Entwicklung darstellt: Eine, die von Beginn an natürlich einzig von den hauseigenen Audio-Produkten (namentlich den AirPods und einer Reihe von W1-kompatiblen Beats-Kopfhörern) unterstützt wurde.Auch wenn man (noch) jeden beliebigen Bluetooth-Kopfhörer mit dem iPhone verbinden kann, wurde damit alles, was nicht W1-kompatibel ist, zu Zubehör zweiter Klasse degradiert: Die Verbindung funktioniert nicht ansatzweise so nahtlos, Akkulaufzeit und Soundqualität werden nicht optimiert etc. Für die beste User-Experience muss man Kopfhörer mit W1-Chip kaufen – bei Apple.

Parallel hat man durch den Wegfall der Klinke effektiv eine der wenigen verbleibenden nicht-proprietären Schnittstellen des iPhones ausradiert und kann nun sogar für kabelgebundene Kopfhörer – ein Zubehör, das seit Jahrzehnten universell einsetzbar war – Lizenzgebühren verlangen, weil diese nun den Lightning-Anschluss benutzen müssen. Adapter gehen auch, aber ganz ehrlich: Wirklich toll findet das niemand.

Made for X – Hersteller-spezifisch optimiertes Zubehör

Auf der Android-Plattform scheint sich ähnliches anzubahnen, dass Apple die phänomenale User-Experience auch durch das Zusammenspiel aller Hardware – iPad, Mac, iPhone, AirPods etc. – erreicht, ist kein Geheimnis. Und natürlich wollen, vielleicht sogar müssen, Samsung, Google, Huawei und Konsorten da nachziehen. Und sie tun es auch. Aus China heißt es derzeit, ein Made for Huawei-Programm stünde in den Startlöchern, Google hat das Made for Google-Programm bereits im Oktober angekündigt, Samsung geht mit SmartThings und Bixby ebenfalls in diese Richtung.

Made for Huawei soll mit einem HDMI-Dongle für das neue Mate 10 (Pro) debütieren, das ja bekanntlich einen DeX-ähnlichen, aber HDMI-basierten, Desktop-Modus besitzt, und Google empfiehlt im Rahmen des Made for Google-Programms Partner-Zubehör auf seiner Website. Auch hier ist man gerade beim Thema Audio empfindlich, denn wenn irgendetwas Frustration garantiert, dann sind das teure Kopfhörer, die dann doch nicht mit dem schönen neuen Smartphone kompatibel sind.

Beide Programme ähneln dem Made for iPad/iPod/iPhone-Label bei Apple und haben natürlich gewisse Vorteile: Sie geben dem Nutzer eine Orientierungshilfe im USB Typ C-Dschungel, garantieren, dass einem nicht das Smartphone beim Laden explodiert und die Kontrollen am Kopfhörer auch tatsächlich die eigene Musik-Anwendung fernsteuern. Letztlich sind sie notwendig, wenn man schon den einzigen Standard entfernt, auf den sich jemals alle Smartphone-Hersteller einig geworden sind.

Aber es hört dabei nicht auf. Nicht nur Made for, sondern auch Made BY Google sind die neuen Pixel Buds: kabellose Kopfhörer, die natürlich mit jedem Bluetooth-fähigen Gerät funktionieren, aber eben fast nur mit dem Pixel ihren hohen Preis auch wert sind. Fast Pairing gibt es nur unter Android N, den integrierten Assistant muss auch das verbundene Gerät unterstützen und die fancy Übersetzungsfunktion funktioniert sogar erstmal nur in Verbindung mit einem Pixel oder Pixel XL. Wie auch bei den neuen Bose QC35s ist die verbesserte User Experience auf eine Plattform beschränkt, sozusagen das Android-Äquivalent zu den AirPods und letztlich ebenso ein Walled Garden.

Die Standards, sie alle zu finden. Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.

Denn es gibt noch einen anderen, viel entscheidenderen, Grund, warum die Made for X-Programme für die Unternehmen interessant sind. Die verbesserte User Experience ist allenfalls zweitrangig und ein netter Nebeneffekt, im Fokus steht, dass die Nutzer umso wahrscheinlicher bleiben, je mehr sie in ein bestimmtes Ökosystem investieren.

Auch hier hat Apple gezeigt, wie man die Kunden bindet. Wer als iPhone-Käufer der ersten Stunde im Jahr 2017 zu Android wechseln möchte, wird sich vermutlich mit hunderten von Apps konfrontiert sehen, die er im Laufe der letzten zehn Jahre für die iOS-Plattform erworben hat und unter Android neu kaufen müsste. Das relativiert schnell mal den oft niedrigeren Kaufpreis eines Android-Smartphones und ist reichlich unbequem. Software ist da aber nur die erste Stufe, bei Zubehör wird es genauso sein. iPad Pro gekauft und für hundert Euro den Pen dazu?  – Kann man anderswo nicht nutzen, sry. Apple Watch am Arm, aber jetzt ein Android-Smartphone? – Ups. Deine sauteuren AirPods sind ohne W1-kompatibles Smartphone nur ordinäre Bluetooth-Kopfhörer mit mäßigem Klang? – Schade, wärste mal geblieben.

Warum sollten unbedarfte Nutzer “zweitklassiges” Zubehör kaufen, das sich nicht so schnell verbindet, nicht so intuitiv den jeweils favorisierten oder zumindest gewohnten Sprachassistenten aufruft und einem nicht bereits beim Erwerb des Smartphones vom Hersteller ans Herz gelegt wird.? Und wenn dieser entscheidende Schritt erst einmal getan ist, wenn die eigenen Kopfhörer nur noch einen proprietären Anschluss aufweisen, oder bestimmte Features auf Google-, Samsung-, oder Apple-Geräte reduziert sind: Warum sollte dann noch irgendwer wechseln?

Vielleicht wird es genug Leute geben, denen ein offener Standard – sei es die 3.5 Millimeter-Klinke, oder eben Bluetooth – wichtig genug ist, als dass man dafür auf den Komfort zusätzlicher Features verzichtet. Vielleicht gibt es genug, die sich nicht irgendwann von ihren Kopfhörern, Apps, Smartwatches und Adaptern diktieren lassen wollen, welches Smartphone für sie sinnvollerweise überhaupt noch in Frage kommt. Aber derzeit sind zumindest die Unternehmen bemüht, auch beim Thema Zubehör Mauern um ihre Gärten zu ziehen und ein Entkommen zu erschweren. Ob das funktioniert, bleibt letztlich den Nutzern überlassen.

Screenshots von: Apple, Google, Google

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